Die "Affäre Lohfink" - Jetzt mal ganz nüchtern

Heute ging der äußerst medienträchtige Prozess gegen eine mehr oder minder bekannte Person des öffentlichen Lebens (vorerst) zu Ende. Eine -versucht- nüchterne Abhandlung.

 

Zunächst einmal zu dem was wir wissen.

 

Frau Lohfink wurde zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Sie gilt damit nicht als vorbestraft wobei es richtiger wäre davon zu sprechen, dass diese Verurteilung nicht in das Führungszeugnis aufegenommen wird (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 a) BZRG). Die Tagessatzhöhe richtet sich nach ihrem monatlichen Einkommen (monatliches Einkommen / 30 = Tagessatzhöhe). Wenn Frau L. also ein monatliches Einkommen in Höhe von ca. 7.500,00 € hat, ist die Tagessatzhöhe zutreffend ermittelt worden. Allerdings kann das Gericht das Einkommen auch schätzen, wenn der Angeklagte hierzu keine Angaben macht.

 

Frau Lohfink wurde einer falschen Verdächtigung für schuldig befunden. Der Tatbestand der falschen Verdächtigung ist in § 164 StGB geregelt. Danach macht sich strafbar, wer "einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft" (Wortlaut des § 164 Abs. 1 StGB).

 

"Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen"  (Wortlaut des § 164 Abs. 2 StGB).

 

Da ich das Verfahren nicht kenne, muss ich mich hinsichtlich des, der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalts auf den Kern der Medienberichte verlassen, was so ziemlich allen anderen auch so gehen dürfte.

 

Demnach behauptete Frau Lohfink im Rahmen einer Strafanzeige, dass zwei Männer gegen ihren erklärten Willen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt hätten. Unabhängig von der -durchaus fragwürdigen- Reform des Sexualstrafrechts, die juristisch in diesem Verfahren keinerlei Relevanz hat, lässt sich dies auch ohne ein körperliches Wehren als Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB qualifizieren, da schon ein Festhalten der Hände (BGH, 06.09.1995 - 2 StR 363/95) oder auch das Legen auf das Opfer (BGH, Urteil vom 2.10.2002 - 2 StR 153/02 - , zitiert nach www.bundesgerichtshof.de) als Nötigung im Sinne der zitierten Norm angesehen wurden.

 

Die Strafanzeige stand im zeitlichen Zusammenhang mit -teilweise im Internet veröffentlichten- Videos die den Geschlechtsverkehr zeigen. Auf den Videos ist nach übereinstimmenden Medienberichten zu hören, dass Frau Lohfink während des Geschlechtsverkehrs "Nein" bzw. "Hör auf" sagt. Frau Lohfink vermutete auch, dass ihr K.O.-Tropfen oder Ähnliches verabreicht worden sein könnten.

 

Das Strafverfahren wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung in einem besonders schweren Fall, wie die Vergewaltigung technisch gesehen heißt, wurde eingestellt, da die Staatsanwaltschaft keinen hinreichenden Tatverdacht sah. Dies entspricht formell den Anforderungen des Gesetzes (§ 170 Abs. 2 StPO).

 

Quasi im Umkehrschluss bestand aus Sicht der Staatsanwaltschaft nun der Verdacht, dass Frau Lohfink wissentlich die Unwahrheit gesagt hätte, so dass sie den Erlass eines Strafbefehls gegen Frau Lohfink beantragte. Das Gericht erliess diesen antragsgemäß (Zum Ablauf eines Strafbefehlsverfahrens kann hier weitergelesen werden). Gegen diesen Strafbefehl legte Frau Lohfink Einspruch ein, so dass das Gericht einen Termin zur öffentlichen Hauptverhandlung anberaumt (§ 411 Abs. 1 Satz 2 StPO). Anders als bei anderen Hauptverhandlungen räumt jedoch die Regelung des § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO der Angeklagten das Recht ein, der Hauptverhandlung fernzubleiben und sich durch ihren Verteidiger vertreten zu lassen.

 

Fest steht also, dass Frau Lohfink freiwillig in der öffentlichen Hauptverhandlung anwesend war.

 

Nun zur rechtlichen Würdigung.

 

Hierbei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen entfiele eine Strafbarkeit der Frau Lohfink, wenn sie tatsächlich vergewaltigt worden wäre. Zum anderen entfiele eine Strafbarkeit aber auch, wenn sie nicht wider besseren Wissen behauptet hätte, vergewaltigt worden zu sein.

 

Für nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr sprechen die, in den Medien viel diskutierten Einwürfe "Nein" bzw. "Hör auf". Zwar ergibt sich aus diesen keine -für eine Vergewaltigung nach alter Rechtslage notwendige- Nötigungshandlung, allerdings könnte je nach dem, was tatsächlich auf dem Video zu sehen ist, eine Nötigungshandlung durch Festhalten oder z.B. Herunterdrücken der Frau Lohfink vorliegen. Allerdings fanden sich nach Medienberichten (z.B. bei Spiegel Online, abrufbar hier) auf dem Mobiltelefon eines der Beteiligten insgesamt 12 Videodateien. In der Gesamtschau der Videosequenzen soll ersichtlich gewesen sein, dass sich das "Nein" bzw.  das "Hör auf" auf das Filmen des Geschlechtsverkehrs bezogen habe. Ich kann dies nicht prüfen, nehme es aber zur Kenntnis. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Gericht -auch nach Sichtung der Videos- ebenfalls keine Vergewaltigung erkennen konnte.

 

Aber vielleicht hat Frau Lohfink auch nicht bewusst die Unwahrheit gesagt. Dann wäre sie nicht strafbar, da der § 164 StGB fordert, dass der Täter "wider besseren Wissens" handelt, also bewusst die Unwahrheit sagt. Auch der von Juristen vielfach als ausreichend erachtete Eventualvorsatz, also das billigende Inkaufnehmen, dass die Informationen falsch sind, reicht nicht aus (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. November 2007 – 2 BvR 1781/07 –, zitiert nach juris). Das bedeutet, dass Gericht muss auch festgestellt haben, dass Frau Lohfink zum Zeitpunkt der Strafanzeige gegen die beiden Männer wusste, dass sie nicht vergewaltigt wurde. Derartige Umstände sind in der Praxis nur schwer festzustellen und müssen regelmäßig über Indizien hergeleitet werden.

 

 

Aber warum ?

 

Frau Lohfink darf -wie jeder Beschuldigte bzw. Angeklagte- zur Sache schweigen oder -in Grenzen (z.B. § 164 Abs. 3 StGB)- sogar lügen. Demnach sind von dieser Seite regelmäßig keine Informationen zu erwarten. Die Gedanken eines Beteiligten können auch nicht ermittelt oder gar "ausgelesen" werden. In der Folge muss aufgrund der Umstände auf die Motivation des Handelnden geschlossen werden. Das Gericht wird also -ebenfalls anhand der Videos und dem Inhalt der Strafanzeige- bemessen haben, ob Frau Lohfink wissen konnte, dass sie nicht vergewaltigt wurde. Das Ergebnis ist ersichtlich.

 

Hinzukommt, dass Frau Lohfink durch ihre Verteidiger eine Erklärung hat verlesen lassen. Anders als ein "totales" Schweigen, können Teileinlassungen, also Erklärungen zu einzelnen Punkten auch negativ berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 – 4 StR 508/10 –, zitiert nach juris). Ob ihre Verteidiger dies bedacht haben, muss offen bleiben.

 

Zum Schluss folgt doch noch etwas weniger Nüchternes.

 

Dieses Verfahren ist ein Paradebeispiel für eine sehr besorgniserregende Entwicklung. Mit immer oberflächlicheren Informationen werden -von Bevölkerung und Politik gleichermaßen- schwerwiegende Entscheidungen gefällt oder "bis aufs Blut" verteidigt. Außer den Prozessbeteiligten dürfte wohl kaum jemand alle Videosequenzen gesehen haben. Die Akten und damit z.B. den Wortlaut der Strafanzeige kennen wir nicht. Und dennoch maßen sich Ministerinnen und andere Politiker an, rechtsstaatswidrig (Stichwort: Gewaltenteilung) Einfluss auf ein laufendes Strafverfahren zu nehmen, Aktivistinnen protestieren vor dem Gericht, Einzelne störten sogar die Verhandlung. Es kommt zu Beleidigungen, Bedrohungen und weiteren Straftaten. Das alles ohne ein sicheres Wissen. Ein Verhalten welches an Gefährlichkeit nicht zu überbieten ist. Wer sich angesichts eines solchen Verhaltens -welches auch in anderen Bereichen z.B. Flüchtlingspolitik, Europa-Politik, Wirtschaftspolitik etc. sehr zunimmt- fragt, wie beispielsweise ein nationalsozialistisches Regime möglich war, hat nichts verstanden.

 

Dieses Verfahren zeigt -wie so oft- dass es keine einfachen Antworten gibt. Schon die Fragen sind anstrengend, aber wir müssen sie stellen und ihre Antworten erforschen, wenn wir nicht alles verlieren wollen.

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