Nachdem ja in letzter Zeit so ziemlich alles getan wurde, um Falschbeschuldigungen und gesellschaftlicher Brandmarkung von Verdächtigten Tür und Tor zu öffnen (siehe nur die Reform des Sexualstrafrechts), hat die Bundesregierung nunmehr einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der anderes vermuten lässt.
Mit dem 05.09.2016 wurde die Vorabfassung des "Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts"
veröffentlicht (BT-Drucksache 18/9534; abrufbar hier). Der Entuwrf ist jedoch keine Idee der Bundesregierung sondern dient der Umsetzung der Richtlinie 2013/48/EU. Neben Änderungen
der Strafprozessordnung enthält der Entwurf u.a. auch Änderungen des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz und des Jugendgerichtsgesetzes (wann das JGG anwendbar ist, kann hier nachgelesen werden). Aus Zeitgründen beschäftige ich mich im Folgenden allerdings nur mit den
geplanten Änderungen der StPO.
Die erste Änderung betrifft die Gegenüberstellung nach § 58 Abs. 2 StPO. Hier soll ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers in das Gesetz aufgenommen werden. Dies stellt tatsächlich eine wünschenswerte Änderung dar, da dem Verteidiger ein solches Recht bislang nicht zustand (KG Berlin, Beschluss vom 04. Mai 1979 – (1) 1 StE 2/77, (1) 1 StE 130/77 –, zitiert nach juris), er aber doch häufig geduldet wurde. Die marginalen Änderungen der §§ 114b, 114c StPO bleiben unbesprochen; hier wurde lediglich das Wort "erheblich" vor "gefährdet" ersetzt, so dass für die Verweigerung der Nachricht an eine Vertrauensperson im Falle einer Verhaftung nunmehr höhere Anforderungen zu stellen sein werden.
Interessanter ist m.E. die geplante Änderung des § 136 StPO durch das Einfügen des folgenden Satzes in Absatz 1 nach Satz 2 der Regelung:
„Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm allgemeine Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen.“
Dies stellt im Wesentlichen eine Klarstellung der bestehenden Regelung dar, die über die Verweisung in § 163a Abs. 4 StPO auch bei Vernehmungen durch die Polizei gilt. Derzeit ist der Beschuldigte allerdings nur darüber zu belehren, dass es ihm freisteht einen von ihm gewählten Verteidiger zu befragen, so dass die Regelung nicht nur klarstellt, sondern auch die Anforderungen an die Belehrung erhöht. Voraussetzung ist jedoch -zumindest dem Wortlaut nach- dass der Beschuldigte einen Verteidiger konsultieren will (wobei ich immer zum Schweigen / Verteidigerkonsultation rate; Hinweise dazu hier).
Darüber hinaus ist geplant, dem Verteidiger ausdrücklich ein Anwesenheitsrecht auch bei polizeilichen Vernehmungen einzuräumen. Dies war bislang über die Regelung des § 168c StPO nur bei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder bei richterlichen Vernehmungen vorgesehen.
A propos Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft. In diesen Fällen müsste die Anwesenheit des Verteidigers nach dem Entwurf aktenkundig gemacht werden oder wenn kein Verteidiger anwesend ist, der Wunsch des Beschuldigten vor der Vernehmung einen Verteidiger zu konsultieren. Wie die Folgen eines Verstoßes gegen diese Dokumentationspflicht aussehen könnten, muss offen bleiben wie bei Verstößen gegen die anderen geplanten Regelungen offen bleiben. Sollte die Rechtsprechung bei Verstößen gegen die Gewährung von Anwesenheitsrechten oder gegen die Dokumentationspflicht kein Verwertungsverbot der so gewonnenen Aussage annehmen (wie es bei Verstößen gegen die Belehrungspflicht (Verteidigerkonsultation) angenommen wird; BGH, Urteil vom 22. November 2001 – 1 StR 220/01 –, zitiert nach juris), würden die Regelungen zu sinnlosen "Lippenbekenntnissen" verkümmern. Wie ich bereits zur Verwertbarkeit von Ermittlungsergebnissen bei Durchsuchungen ausgeführt habe, bedarf es auch bei Regelungen, welche Ermittlungsbehörden binden, einer konsequenten Sanktionierung von Verstößen um diese zu deren Einhaltung anzuhalten.
Die geplanten Änderungen gehen in die richtige Richtung. Dies möchte ich auch nicht "kaputt reden". Es erschließt sich, dass die Erweiterung von Anwesenheitsrechten und die Verpflichtung zur Hilfestellung bei der Verteidigerkonsultation, die Position des Beschuldigten im Strafverfahren verbessert. Ein (gut) verteidigter Beschuldigter, ist nicht mehr hilfslos Ermittlungsmaßnahmen ausgesetzt und kennt seine Rechte. Er kann an einem Strafverfahren mündig teilnehmen und wird weit weniger häufig zum "Spielball" der Ermittlungsbehörden.
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