Die Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen beim Beschuldigten - neue Entwicklungen

In der Diskussion um die Grenzen des Beschlagnahmeverbot über Verteidigungsunterlagen ist zunehmend Bewegung zu verzeichnen.

 

So hat das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 17.08.2016 (618 Qs 30/16, StraFo 11/2016, 463ff. mit Anmerkung Mehle/Mehle) entschieden, dass auch Unterlagen die ein Betroffener vor Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens für seinen Verteidiger fertigt, dem Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO unterliegen.

 

Das Gericht begründete seine Entscheidung u.a. wie folgt:

 

„Über den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus unterliegt die Beschlagnahme von Gegenständen weiteren Grenzen, die sich aus dem in der Verfassung normierten Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht ergeben (BGHSt 44, 46): So führt eine verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs. 1 StPO auch in in der Norm nicht ausdrücklich genannten Fällen zu einem Beschlagnahmeverbot, wenn das Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten das Strafverfolgungsinteresse des Staates eindeutig überwiegt (BGH, aaO).“

 

Weiter führt das Gericht aus:

 

„Das Beschlagnahmeverbot muss auch für Mitteilungen und Aufzeichnungen gelten, die vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum Zweck der späteren Verteidigung gefertigt worden sind (LG Braunschweig wistra 2016, 40; LG Gießen BeckRS 2012,  15498; Mehle/Mehle, NJW 2011, 1639).“

 

Dies gelte auch, wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten befinden.

 

Zur weiteren Begründung verweist das Gericht u.a. auf den Grundsatz der Waffengleichheit, der auch im Vorermittlungsverfahren gelte. Ermögliche man aber den Ermittlungsbehörden einen Zugriff auf zeitlich vor Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gefertigte Aufzeichnungen, wäre die Verteidigung insoweit massiv beschränkt.

 

Die Entscheidung ist begrüßenswert, entscheidet jedoch nicht den Streit über die Grenzen des Beschlagnahmeverbots (so auch: Mehle/Mehle, StrafFo 11/2016, 467). Nachdem der BGH bereits 1998 den Schutzbereich des § 97 Abs. 1 StPO erweiterte indem er das Beschlagnahmeverbot auch annahm, wenn sich die Verteidigungsunterlagen im Gewahrsam des Beschuldigten befinden (BGH, Urteil vom 25. Februar 1998 – 3 StR 490/97 –, zitiert nach juris, dort Rn. 14) besteht weiterhin Streit darüber ob die vom BGH (aaO) aufgestellten Grundsätze eine förmliche Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen notwendig machen, also ein Ermittlungsverfahren gegen diesen eingeleitet worden sein muss.

 

Einige Instanzgerichte und Teile des Schrifttums, unter ihnen auch der Bearbeiter des Standardkommentars zur Strafprozessordnung (Schmitt in Meyer-Goßner, StPO) verneinen ein Beschlagnahmeverbot sofern ein Ermittlungsverfahren noch nicht eingeleitet wurde und der Betroffene somit -zumindest förmlich- noch nicht Beschuldigter ist (so z.B. LG Mainz, Beschluss vom 23. Mai 1986 – 5 Qs 4/86 –, zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 97, Rn. 1036). Begründet wird dies -meines Erachtens wenig überzeugend- mit dem Gesetzeswortlaut, der von "Verteidiger" spricht. Verteidigung setze aber die Beschuldigteneigenschaft voraus. Schmitt (aaO) wendet außerdem ein, dass eine Vorverlagerung des durch das Beschlagnahmeverbot gewährten Schutzes ein Missbrauchspotential berge.

 

Demgegenüber will eine immer größer werdende Zahl von Instanzgerichten und Stimmen in der Literatur den Schutz des Beschlagnahmeverbots aus § 97 Abs. 1 StPO auch auf das Vorermittlungsverfahren ausdehnen. Nach dieser Ansicht ist eine formelle Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen nicht notwendig (so z.B. LG Braunschweig, Beschluss vom 21. Juli 2015 – 6 Qs 116/15 –, zitiert nach juris, dort Rn. 10 = wistra 2016, 40; LG Gießen, Beschluss vom 25. Juni 2012 – 7 Qs 100/12 –, zitiert nach juris, dort Rn. 7; Mehle/Mehle, Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen - insbesondere in Kartellbußgeldverfahren, NJW 2011, 1639; Jahn/Kirsch, Anmerkung zu einem Beschluss des LG Bonn v. 21.06.2012 (27 Qs 2/12; NZWiSt 2013, 21) - Zum kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren, NZWiSt 2013, 28).

 

Dieser Ansicht schließt sich -wie gezeigt- auch das Landgericht Hamburg an. Die Begründung ist stichhaltig und wird von mir persönlich geteilt. Ohne eine umfassende Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen ist eine wirksame Verteidigung nicht möglich. Dies wiederum verstieße gegen Menschenrechte und deutsches Verfassungsrecht, da sowohl Art. 6 Abs. 3 EMRK als auch Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG es gebieten eine wirksame Verteidigung zu ermöglichen. Dies muss auch für ein Vorermittlungsverfahren oder meiner Ansicht nach sogar für eine strafrechtliche Präventivberatung gelten, da insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht häufig zunächst andere Verfahren stattfinden (z.B. Betriebsprüfung durch die Finanzverwaltung, Prüfung der Deutschen Rentenversicherung oder des Hauptzollamts) und sich bereits während dieser abzeichnet, dass strafrechtliche Vorwürfe folgen werden. Die Praxis zeigt, dass derartige Möglichkeiten (z.B. die Ausnutzung von Mitwirkungspflichten) von Ermittlungsbehörden nicht selten sogar ausgenutzt werden um Informationen zu gewinnen. In diesen Fällen muss sich der Betroffene bereits -lange- vor der formellen Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eines Verteidigers bemühen können.

 

Schlussendlich bleibt jedoch abzuwarten, ob sich weitere Instanzgerichte anschließen und wie der Bundesgerichtshof in einer derartigen Fallkonstellation entscheidet.

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