Mutterschutz geht vor, oder: Was eine Entbindung mit dem gesetzlichen Richter zu tun hat

Was kurios klingt ist eigentlich nur folgerichtig. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshof (Urteil vom 7.11.2016 - 2 StR 9/15 -, zitiert nach www.bundesgerichtshof.de) hat entschieden, dass

"der nachgeburtliche Mutterschutz einer Richterin zu einem Dienstleistungsverbot führt, das ihrer Mitwirkung in der Hauptverhandlung entgegensteht. Deren Fortsetzung ohne Beachtung der Mutterschutzfrist führt zur gesetzwidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts."

 

In dem zu entscheidenden Fall war die Berichtererstatterin einer Großen Strafkammer am Landgericht (3 Berufsrichter, 2 Schöffen) während der Verlaufs der Hauptverhandlung schwanger geworden. Während einer Unterbrechung vom 20. Dezember bis 3. Januar des Folgejahres entband sie ein Kind. Ab dem 3. Januar nahm die Richterin jedoch wiederum an der Hauptverhandlung teil. Die Verteidiger erhoben darauf hin einen Besetzungseinwand, da die Richterin, ihrer Auffassung nach nicht hätte an der Hauptverhandlung mitwirken dürfen. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Landgericht verwarf den Einwand.

 

Der Bundesgerichtshof gab den Verteidigern nunmehr Recht.

 

"Das absolute Dienstleistungsverbot gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Verbindung mit § 2 HRiG, § 95 Nr. 1 HBG und § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HMu-SchEltZVO ist zwingendes Recht (vgl. BAG, Urteil vom 28. August 1960 – 1 AZR 202/59, BAGE 10, 7 ff.; LG Bremen, Beschluss vom 28. April 2010 – 22 Ks 210 Js 2251/09 in juris; Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 207. Lfg., MuSchG Vorbem. Rn. 1; Buchner/Becker, Mutterschutz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 8. Aufl., § 6 MuSchG Rn. 12; BeckOK-ArbR/Schrader, 40. Ed., MuSchG § 6 Rn. 1, 7). Es steht weder zur Disposition des Dienstherrn noch konnte die Richterin darauf verzichten. Dem steht nicht entgegen, dass es der dienstleistenden Richterin anheim gegeben ist, ihrem Dienstherrn die Tatsachen der Schwangerschaft sowie der Entbindung bekannt zu geben. Die Schutzwirkung des § 6 MuSchG und das daraus folgende Beschäftigungsverbot setzen nicht eine Mitteilung der Mutter, sondern allein Kenntnis des Arbeitgebers beziehungsweise Dienstherrn voraus; ihm ist eine Beschäftigung der Mutter auch dann untersagt, wenn diese einer Dienstleistung zustimmt oder sie gar verlangt.

 

Die beisitzende Richterin durfte sich danach nicht freiwillig zur Dienstleistung in der Hauptverhandlung bereit erklären." (BGH, aaO, Rn. 13).

 

Kurzum: Die Mutter ist auch gegen ihren Willen zu schützen. Strafprozessual wirke sich der Mutterschutz demnach wie eine Verhinderung wegen Dienstunfähigkeit aus.

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshof ist zutreffend. Der § 6 MuSchG sieht anders als der Schutz werdender Mütter nach § 3 MuSchG keine Wahlmöglichkeit der (werdenden) Mutter vor. Nach § 6 Abs. 1 MuSchG besteht ein zwingendes Beschäftigungsverbot, dass nicht umgangen werden kann und auch nicht vom Willen der Beteiligten abhängt. Ein Verstoß gegen dieses gesetzliche Verbot muss auch zwingend zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts führen, da -so auch der 2. Strafsenat (aaO, Rn. 17)- die Besetzung eines Gerichts z.B. auch der Eintritt eines Ergänzungsrichters ansonsten nur von der Bereitschaft und damit dem willkürlichen Annehmen einer "Verhandlungsfähigkeit" durch einzelne Richter abhängen würde. Dies wäre mit dem, sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Grundsatz der Bestimmtheit der Mitwirkungszuständigkeit nicht vereinbar.

 

Das klingt kompliziert, kann aber erklärt werden.

 

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sieht vor, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Wer der gesetzliche Richter ist bzw. die gesetzlichen Richter sind, ergibt sich zunächst aus dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und des Weiteren aus den Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte. Da dieses Recht auf den gesetzlichen Richter sehr bedeutsam ist -immerhin soll dies sicherstellen, dass die Exekutive die entscheidenden Richter nicht tauschen oder anderweitig manipulieren und so Einfluss auf den Ausgang eines Verfahrens nehmen kann- hat der Gesetzgeber einen Verstoß gegen diesen Grundsatz zum absoluten Revisionsgrund erklärt (§ 338 Nr. 1 StPO), so dass ein Verstoß eine Revision begründet ohne dass es hierfür eines Beruhens bedürfte. Es ist ersichtlich, dass würde man einer Richterin erlauben zu entscheiden, ob sie weiter an der Verhandlung und an dem Urteil mitwirken will, es nicht mehr vorhersehbar wäre welche Richter einen Fall entscheiden. Es würde insoweit an der erforderlichen Transparenz fehlen. Ist es jedoch nicht vorhersehbar wer den Fall zu entscheiden hat, ist das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.

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