"Erscheinen Sie, sonst weinen Sie" II - Die Pflicht zum Erscheinen zur Vernehmung nach der Reform der StPO

Die Frage wer wann zum Erscheinen oder gar zur Aussage vor einer Ermittlungsbehörde gezwungen werden kann, ist in der Verteidigungspraxis spezialisierter Rechtsanwälte ein Häufige.

 

Nachdem der Gesetzgeber mit dem, am 23.08.2017 verkündeten Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens auch die Vorschriften zur Vernehmung von Zeugen in der Strafprozessordnung geändert hat, ist diese Frage aktueller den je.

Zu deren Beantwortung ist zunächst nach der Rolle des Betroffenen im Strafverfahren zu unterscheiden. Für Zeugen gelten andere Vorschriften als für den Beschuldigten.

Der Zeuge

Der Zeuge ist im Strafverfahren ein Beweismittel. Entsprechend wird er behandelt. Das häufige und nicht zu unterschätzende Risiko, dass aus dem Zeugen ein Beschuldigter wird, wird dabei von Ermittlungsbehörden nur allzu oft heruntergespielt.

 

Nach der alten Rechtslage (§ 161a StPO) war der Zeuge nur bei Ladung und Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft oder den Ermittlungsrichter zum Erscheinen verpflichtet. Bei Ladungen der Polizei galt dies nicht.

 

Nunmehr wurde der § 163 StPO und statt des ursprünglichen Absatz 3 die Absätze 3 bis 7 eingefügt.

 

Die -hier relevanten- Absätze 3 bis 5 lauten:

 

"(3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.

 

(4) Die Staatsanwaltschaft entscheidet


1. über die Zeugeneigenschaft oder das Vorliegen von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten, sofern insoweit Zweifel bestehen oder im Laufe der Vernehmung aufkommen,
2. über eine Gestattung nach § 68 Abs. 3 Satz 1, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen,
3. über die Beiordnung eines Zeugenbeistands nach § 68b Abs. 2 und
4. bei unberechtigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung des Zeugen über die Verhängung der in den §§ 51 und 70 vorgesehenen Maßregeln; dabei bleibt die Festsetzung der Haft dem nach § 162 zuständigen Gericht vorbehalten.
Im Übrigen trifft die erforderlichen Entscheidungen die die Vernehmung leitende Person.

 

(5) Gegen Entscheidungen von Beamten des Polizeidienstes nach § 68b Abs. 1 Satz 3 sowie gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nach Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und 4 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten jeweils entsprechend. Gerichtliche Entscheidungen nach Satz 1 sind unanfechtbar."

Mit "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" ist u.a. die Polizei gemeint. Zeugen sind nunmehr auch verpflichtet, auf deren Ladung hin zu erscheinen und auszusagen. Über die Kostenauferlegung sowie Ordnungsgeld und Ordnungshaft bei unberechtigtem Ausbleiben oder der unberechtigten Zeugnisverweigerung (§§ 51, 70 StPO) entscheidet dann aber wieder die Staatsanwaltschaft.

 

Weiter ist erforderlich, dass der Ladung zur Polizei ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Die Ladung kann sowohl durch die Polizei als auch durch die Staatsanwaltschaft zur Polizei erfolgen (so auch: Burhoff, Die Änderungen in der StPO 2017 - ein erster Überblick, E-Book, S. 56). Da es -wie andere Autoren bereits bemängelten (Burhoff, aaO; DAV Stellungnahme 40/1 6 von August 201 6, S. 7)- an einem entsprechenden Hinweis in der Gesetzbegründung fehlt, wird man davon ausgehen müssen, dass auch ein genereller Auftrag der Staatsanwaltschaft ausreicht und kein, auf den Einzelfall bezogener Auftrag notwendig ist.

 

Durch den Verweis auf den "sechsten Abschnitt des ersten Buches" der StPO sind die §§ 48 bis 71 StPO anzuwenden. Eine besondere Form der Ladung ist darin nicht vorgesehen. Eine Ladung kann demnach auch mündlich und ohne die Einhaltung einer Frist erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 48, Rn. 1b).

 

Da dem Zeugen nach den neuen Regelungen im Falle des Nichterscheinens vor der Polizei nicht unerhebliche Konsequenzen drohen (können), ist er über diese möglichen Konsequenzen zu belehren. Dies gilt auch und insbesondere für eventuell bestehende Zeugnisverweigerungsrechte.

 

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich die Pflicht -wie auch für staatsanwaltschaftliche Vernehmungen anerkannt- nur auf das Erscheinen und nicht auf die Aussage zur Sache bezieht. Ein Zeuge sollte sich hier nicht verunsichern lassen. Auch bei der "neuen" polizeilichen Vernehmung bestehen die allgemeinen Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte aus §§ 52, 53, 55 StPO.

Der Beschuldigte

Die vorgenannten Änderungen betreffen den Beschuldigten in einem Strafverfahren nicht. Der Beschuldigte muss weiterhin auf Ladung der Polizei nicht zur Vernehmung erscheinen. Sein Schweigerecht steht ihm vor jeder Ermittlungsbehörde (auch bei der Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter zu).

 

Allerdings wurden mit dem Zweiten Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts im Bundesgesetzblatt (BGBl. I 2017, S. 3295), in Kraft getreten am 05.09.2017 die Anforderungen an die Belehrung des Beschuldigten geändert und das Anwesenheitsrecht des Verteidigers auch bei der polizeilichen Vernehmung eingeführt.

 

So wurde dem § 136 StPO, der die erste Vernehmung des Beschuldigten betrifft und über § 163a Abs. 4 StPO auch für Vernehmungen durch Polizeibeamte gilt, wie folgt ergänzt:

 

"Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen."

 

Da nunmehr in § 163a Abs. 4 StPO der die Vernehmung durch Polizeibeamte betrifft nunmehr darauf hingewiesen wird, dass § 168c Abs. 1 bis 5 StPO für den Verteidiger Anwendung finden, ist davon auszugehen, dass diesem nunmehr auch bei der polizeilichen Vernehmung ein Anwesenheitsrecht (wie in § 168c Abs. 1 Satz 1 StPO) eingeräumt wird. Allerdings gilt auch hier, dass kein Anspruch auf Verlegung des Termins bei Verhinderung besteht (§ 168c Abs. 5 StPO).

 

Auch der § 168c StPO hat umfangreiche Änderungen erfahren, wobei § 168c Abs. 2 StPO das Konfrontationsrecht des Beschuldigten, also das Recht (Belastungs-)zeuge selbst zu befragen oder durch seinen Verteidiger befragen zu lassen, stärkt. Dieses Recht welches sich bereits aus Art. 6 Abs. 3 d) der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt wurde bislang vom deutschen Gesetzgeber eher stiefmütterlich behandelt.

 

Die Regelungen lauten nunmehr:

 

"(1) Bei der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten ist der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden.

 

(2) Bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen ist der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet. Diesen ist nach der Vernehmung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären oder Fragen an die vernommene Person zu stellen. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen oder Erklärungen können zurückgewiesen werden. § 241a gilt entsprechend."

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Kommentare: 3
  • #1

    Thomas Lößel (Freitag, 20 Oktober 2017 00:53)

    Zitat: "Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich die Pflicht -wie auch für staatsanwaltschaftliche Vernehmungen anerkannt- nur auf das Erscheinen und nicht auf die Aussage zur Sache bezieht. Ein Zeuge sollte sich hier nicht verunsichern lassen."

    Was übersehe ich angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes:

    "Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen"?

  • #2

    Benjamin Lanz (Freitag, 20 Oktober 2017 08:05)

    Hallo Herr Kollege,

    Ihre Frage möchte ich wie folgt beantworten:

    Es ist allgemein für § 161a Abs. 1 Satz 1 StPO anerkannt, dass sich die Formulierung – „Klausel“
    (Meyer-Goßner/Schmitt, § 161 a Rn 2) – nur auf die Pflicht zum Erscheinen bezieht und nicht auch auf die Aussagepflicht.

    Angesichts der, wie Burhoff es nennt, "unglücklichen" Formulierung des Gesetzeswortlauts (auch schon für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung) kann der Eindruck entstehen, dass die Pflicht zur Aussage in der Sache unabhängig von eventuell bestehenden Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechten besteht.

    Allerdings könnte die Formulierung im Beitrag missverstanden werden, so dass sie nunmehr ergänzt wurde. Ich hoffe ich konnte Ihre Frage beantworten.

  • #3

    Thomas Lößel (Samstag, 21 Oktober 2017 02:19)

    Danke für die Antwort. Dachte schon ich bin verpeilt. Hatte das E-Book von Kollege Burhoff auf Rhodos in Urlaubsstimmung auf dem Tablet gelesen und grad nicht zur Hand.