Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen bleibt weiter die häufigste Straftat im medizinischen Bereich (siehe nur: Spiegel Online vom 3005.2017, hier abrufbar).
Neben Fällen, in denen Leistungen offensichtlich nicht oder nicht abrechenbar erbracht wurden, kommt es auch immer wieder zu Ermittlungsverfahren und sogar Anklagen, die Sachverhalte zum Gegenstand haben, in denen über die Abrechenbarkeit der jeweiligen Leistungen Streit besteht (Allgemeine Ausführungen und Beispiele zum Abrechnungsbetrug finden Sie hier).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 12.07.2017 - 1 StR 535/16)
Einen derart gelagerten Fall hatte jüngst der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes zu entscheiden.
Das Landgericht hatte die angeklagten Ärzte vom Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen Betruges freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft ging gegen diese Entscheidung in die Revision, welche jedoch ohne Erfolg blieb.
Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes vom 12.07.2017 (Nr. 112/2017, hier abrufbar) fasst den Sachverhalt wie folgt zusammen:
"Die Staatsanwaltschaft hatte den beiden Angeklagten vorgeworfen, im Tatzeitraum zwischen 2004 und 2007 betrügerisch Abrechnungen von laborärztlichen Leistungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung vorgenommen und diese dadurch um rund 79 Millionen Euro geschädigt zu haben. Nach dem Anklagevorwurf waren die Angeklagten vertretungsberechtigte Geschäftsführer eines Dienstleistungsunternehmens. Das Unternehmen bot u.a. die interdisziplinäre Beratung auf dem Gebiet der Laborrationalisierung, die Bereitstellung von medizinischen Laboreinrichtungen einschließlich Fach- und Wartungspersonal sowie die Systementwicklung im Laborbereich an. Es schloss mit mehreren, an verschiedenen Standorten angesiedelten Laborärzten Dienstleistungsverträge. Gegenüber den jeweils regional zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen traten die Betreiber der laborärztlichen Praxen als selbständige, niedergelassene Laborärzte auf und erklärten in ihren Abrechnungen gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen entweder ausdrücklich oder konkludent, die abgerechneten Leistungen – im sozialversicherungsrechtlichen Sinn – "in freier Praxis" (vgl. § 98 Abs. 2 Nr. 13 SGB V, § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV) erbracht zu haben."
Rechtlicher Kern der Entscheidung ist die Frage, ob Leistungen die in der geschilderten Art und Weise erbracht wurden, das Merkmal der Erbringung in freier Praxis im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte erfüllen. Wäre dies nicht der Fall, fehlte es an der Abrechenbarkeit der erbrachten Leistungen. Wäre den Angeklagten dies bewusst gewesen, hätte sie über die Abrechenbarkeit getäuscht und im Ergebnis einen Betrug begangen.
Zur Beantwortung dieser Frage bedient sich der 1. Strafsenat der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (wie auch bei dem Vorenthalten von Arbeitsentgelt, § 266a StGB).
Danach ist eine Tätigkeit in freier Praxis von der ärztlichen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis abzugrenzen (siehe nur: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 – B 6 KA 19/15 R –, hier zitiert nach juris). Letztlich wird, wie beispielsweise auch bei der Mitunternehmerschaft im Steuerrecht, auf das Tragen des wirtschaftlichen Risikos und die Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg abgestellt.
"Das wirtschaftliche Risiko trägt der Vertragsarzt dann, wenn es maßgebend von seiner Arbeitskraft abhängt, in welchem Umfang er Einkünfte durch seine freiberufliche Tätigkeit erzielt (BSG, Urteile vom 16. März 1973 – 6 RKa 23/71, BSGE 35, 247, 252 und vom 23. Juni 2010 – B 6 KA 7/09 R, BSGE 106, 222, 229 Rn. 37). Ausreichende Handlungsfreiheit bei der Ausübung der (vertrags-)ärztlichen Tätigkeit erfordert die Befugnis, den medizinischen Auftrag nach seinem Ermessen zu gestalten sowie über die räumlichen und sächlichen Mittel, ggf. auch über den Einsatz von Hilfspersonal, zu disponieren oder jedenfalls an der Disposition mitzuwirken (BSG jeweils aaO). Um zu bewerten, ob das kassenarztrechtlich erforderliche Maß an Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit gewahrt ist, können auf die Arztpraxis bezogene zivilrechtliche Vereinbarungen von Bedeutung sein (BSG aaO BSGE 106, 222, 229 f. Rn. 40 f.)." (BGH, aaO, zitiert nach Bundesgerichtshof.de, dort Rn. 11)
Es ist nicht notwendig, dass der Arzt neben dem Einkommensrisiko noch ein weiteres wirtschaftliches Risiko trägt. So kann auch bei einer komplett gemieteten Praxisausstattung eine Tätigkeit in freier Praxis vorliegen (BGH, aaO, Rn. 12 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts).
Fazit
Die Entscheidung zeigt, wie auch die Rechtsprechung zur Abrechnung von in sogenannten Apparategemeinschaften erbrachten Speziallaborleistungen als eigene Leistung (weitere Informationen dazu finden Sie hier), die Beschwerlichkeit und Risiko der Grenzziehung.
Dabei wird die Berücksichtigung der strafrechtlichen Grenzen ärztlichen oder allgemein medizinischen Wirtschaftens weiter eine große Bedeutung in der Beratungspraxis zukommen.
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