Das Analogieverbot im Bußgeldverfahren am Beispiel des Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten - OLG Hamm, Beschluss vom 18.10.2016 - 3 RBs 277/16

Die Vermeidung von -zumeist bußgeld- oder strafbewehrten- Verstößen bei der Beschäftigung von Personal ist enorm anspruchsvoll und für den juristischen Laien allein kaum noch zu leisten.

 

Allein die möglichen Anwendungsbereiche der Strafnorm des § 266a StGB auf faktische Geschäftsführer, die Unterschreitung eines tariflichen oder des gesetzlichen Mindestlohnes sowie Fragen der Scheinselbstständigkeit sprengen nicht nur die Grenzen jedes Fachaufsatzes oder Leitfadens für Unternehmer. Betrachtet man darüber hinaus die verschiedenen bußgeldbewehrten Verstöße aus dem Arbeitszeitgesetz, dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder dem Arbeitnehmerentsendegesetz entsteht der Eindruck, dass die rechtskonforme Beschäftigung schier unmöglich ist.

 

Doch damit nicht genug. Selbst sind die Regelungen bekannt, ist deren Anwendungsbereich häufig unklar. Ein illustres Beispiel hierfür ergibt sich aus der, bereits oben zitierten Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm.

DEr Adressatenkreis der Aufzeichnungspflicht nach § 19 Abs. 1 AEntG

Nach § 23 Abs. Nr. 8 AEntG sanktioniert den Verstoß gegen Aufzeichnungspflichten im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 ggf. in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 2 AEntG.

 

Ein solcher Verstoß kann gemäß § 23 Abs. 3 AEntG mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 € geahndet werden. Daneben kommt auch eine Geldbuße gegen das Unternehmen gemäß § 30 OWiG in Betracht.

 

Der § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG lautet:

 

"Soweit die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1, § 5 Satz 1 Nummer 1 bis 3 und § 6 Absatz 2 oder einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a über die Zahlung eines Mindestentgelts oder die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, ist der Arbeitgeber verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren."

 

Es stellt sich die Frage wann ein Arbeitgeber nun zur Aufzeichnung des Beginns, des Endes und der Dauer der täglichen Arbeitszeit verpflichtet ist.

 

Dies lässt sich verschiedentlich beantworten. Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass da § 19 Abs. 1 Satz AEntG im Hinblick auf die zu verpflichtende Branche oder den Geltungsbereich nur auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG verweist, nur das in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bezeichnete Bauhaupt- und nebengewerbe von den Aufzeichnungspflichten betroffen ist (OLG Hamm, aaO, zitiert nach juris, dort Rn. 22ff.). Begründet wird dies mit dem Analogieverbot (dazu unten).

 

Eine Übertragung, der in § 19 Abs. 1 S.1, 2 AEntG ausdrücklich für die Branche nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG statuierten Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht auf alle anderen Branchen, in denen tarifvertragliche Rechtsnormen mit Regelungen nach § 5 S. 1 Nr. 1 bis 3 - sei es kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung gem. § 5 TVG oder Rechtsverordnung gem. §§ 7, 7a - auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, komme nicht in Betracht. Maßgeblich sei der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, wobei für Interpretationen kein Raum sei, die über den erkennbaren Wortsinn hinausgingen (BVerfG NStZ 1986, 261; NJW 1992, 890; NJW 2010, 47; NJW 2012, 907; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rdnr. 31 m.w.N.). Nach dem Gesetzeswortlaut sei diese auf die Branche des § 4 Abs. 1 Nr. 1, also das Bauhaupt- und Baunebengewerbe in der normierten Ausprägung, beschränkt. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 enthält - wie bereits erwähnt -keine Regelung über eine Branche, sondern lediglich über Regelungen eines Tarifvertrages (Mindestlohn, Urlaub, Sozialkassenbeiträge) und § 6 Abs. 2 korreliert wiederum mit der in § 4 Abs.1 Nr. 1 AEntG genannten Branche des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes. Der verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes des § 23 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. § 19 Abs.1 S.1 und 2 AEntG spräche danach für eine Beschränkung der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht des Arbeitgebers auf die der genannte Branche des Bauhaupt- oder Baunebengewerbes und jedenfalls nicht für die allgemeine Erstreckung der Pflicht auf alle anderen Branchen, in denen tarifvertragliche Rechtsnormen mit Regelungen nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden (OLG Hamm, aaO, zitiert nach juris, dort Rn. 27).

 

Dem ist das Finanzgericht Hamburg ausdrücklich entgegengetreten (FG Hamburg, Urteil vom 10. Mai 2017 – 4 K 73/15 –, zitiert nach juris).

 

Der § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG verpflichte zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer, soweit entweder die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 S. 1 Nr. 1-3 und 6 Abs. 2 AEntG oder einer entsprechenden Rechtsverordnung nach §§ 7, 7a AEntG über die Zahlung eines Mindestentgelts oder die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden. Der § 19 Abs. 1 S. 1 AEntG gelte damit nicht nur für die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG, sondern auch für "die Rechtsnormen [...] einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a AEntG". Der Verweis auf die nach diesen Rechtsverordnungen erlassenen tarifvertraglichen Vorschriften beschränke sich nicht auf die Branchen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG. § 7 AEntG da nämlich sämtliche Tarifverträge im Sinne von § 4 Abs. 1 AEntG - also auch die in § 4 Abs. 1 Nr. 2-9 AEntG genannten Arbeitsbereiche. § 7a AEntG bezieht sich ausdrücklich auf Tarifverträge im Sinne von § 4 Abs. 2 AEntG, also solche, die sich auf alle anderen als der in § 4 Abs. 1 AEntG genannten Branchen beziehen, betroffen seien. Ziel des durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz eingefügten § 4 Abs. 2 AEntG sei es gerade, das AEntG auf sämtliche Branchen auszudehnen (BT-Drs. 18/1558, S. 51). Entsprechend sei in § 19 Abs. 1 S. 1 AEntG auch § 7a AEntG aufgenommen worden(BT-Drs. 18/1558, S. 53) (FG Hamburg, aaO, Rn. 17).

 

Die Ansicht des Finanzgerichts erscheint schon dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG nach, nachvollziehbarer. Wie bereits oben wörtlich wiedergegeben, zählt die Regelungen rechtliche Situationen auf, die eine Aufzeichnungspflicht zur Folge haben sollen. Der Verweis auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG ist nicht ausschließlich oder gar der einzige Verweis, sondern nur der erste in einer Reihe von Verweisungen. Zu diesen gehört auch der Verweis auf nach §§ 7, 7a AEntG erlassene Rechtsverordnungen. Diese wiederum können weitere Branchen erfassen. Ein Versehen des Gesetzgebers ist hierin nicht zu erkennen.

Das Analogieverbot im Bußgeldverfahren

Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung, den Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG derart zu begrenzen, damit begründet, dass eine Anwendung über den Bereich des Bauhaupt- und nebengewerbes hinaus eine Analogie darstelle, die zu Ungunsten des Betroffenen unzulässig sei (aaO, Rn. 24).

 

Es dürfte jedoch bereits an einer Analogie fehlen. Die Analogie bezeichnet im juristischen Kontext allgemein die Anwendung einer Regelung auf einen nicht erfassten, nur ähnlichen Lebenssachverhalt (so auch das OLG, aaO). Nach dem oben Ausgeführten ist jedoch die Verpflichtung auch anderer Branchen zur Aufzeichnung bereits dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG zu entnehmen, so dass es an der Anwendung auf einen nicht erfassten Sachverhalt fehlt.

 

Allerdings dürfte sich die gesetzliche Konstruktion am Randes dessen bewegen, was das Oberlandesgericht den "für den Adressaten verstehbaren Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes" nennt (aaO, Rn. 27).

 

Ein potentiell von der Regelung Betroffener müsste zunächst prüfen, ob sein Betrieb dem Bauhaupt- oder nebengewerbe zuzuordnen ist. Wie die zahlreichen Streitigkeiten mit der Sozialkasse Bau zeigen, ist bereits dies nicht einfach. Kann der mutmaßlich Betroffene dies ausschließen, muss geprüft werden, ob nicht ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag nach § 5 Satz 1 Nummer 1 bis 3 und § 6 Absatz 2 AEntG auf seinen Betrieb Anwendung findet. Erst im Anschluss stellt sich die Frage, ob nicht über eine Rechtsverordnung nach den §§ 7, 7a AEntG eine entsprechende Verpflichtung generiert wird.

 

Nichtsdestotrotz soll in aller Kürze auf das Analogieverbot im Bußgeldverfahren eingegangen werden.

 

Hierzu hat das Oberlandesgericht nach hiesiger Ansicht zutreffende und eingängige Ausführungen gemacht, so dass diese hier wiedergegeben werden:

 

"Eine Analogie, d.h. die Anwendung einer Bußgeldvorschrift über ihren Inhalt hinaus auf einen von dieser nicht erfassten, nur ähnlichen Lebenssachverhalt, ist zu Ungunsten eines Betroffenen unzulässig (vgl. BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE wistra 03, 255; OLG Düsseldorf VRS 63, 70; OLG Schleswig NJW 1990, 1190; Göhler, OWiG, a.a.O., § 3 Rdnr. 9; KK-Rogall, Komm. zum OWiG, 4. Aufl.; § 3 Rdnr. 51ff.). § 3 OWiG, der bestimmt, dass eine Handlung als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden kann, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde, begründet für das Ordnungswidrigkeitenrecht das verfassungsrechtlich gewährleistete Gesetzlichkeitsprinzip, also den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege. Die Garantiefunktion des Strafgesetzes aus Art. 103 Abs. 2 GG erstreckt sich damit auch auf Bußgeldtatbestände (vgl. Thüsing-Kudlich, MiLoG und AEntG, Kommentar, § 23 AEntG Rdnr. 24; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 3 Rdnr. 1 m.w.N; KK-Rogall, a.a.O., § 3 Rdnr.1 f.). § 3 OWiG hat Anteil an der verfassungsrechtlichen Garantie in dem Sinne, dass diese Norm materielles Verfassungsrecht enthält und ihr Grundrechtscharakter zukommt (BVerfG, NStZ 1986, 261; KK-Rogall, a.a.O. § 3 Rdnr. 2 m.w.N.). Gegenstand des Gesetzlichkeitsprinzips, das in § 3 OWiG eine besondere Bestätigung und Präzisierung erfährt, ist u.a. das Bestimmtheitsgebot, welches das rechtsstaatliche Gebot der Normenklarheit ( BVerfG NJW 1977, 1723, 1724; NJW 1984, 419; KK-Rogall, a.a.O., § 3, Rdnr. 26 m.w.N) umfasst, und vom Gesetzgeber bei der Fassung von Sanktionsnormen größtmögliche Präzision fordert, um dem Gebot der Tatbestandsbestimmtheit zu genügen (KK-Rogall, a.a.O, § 3 Rdnrn 26 ff, m.w.N.); der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der Sanktionsnorm so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich des Sanktionstatbestandes zu erkennen sind (BVerfG NJW 1987, 3175, m.w.N.; NJW 2005, 349; 2008, 3627); diese Anforderung gilt in erster Linie dem Schutz des Normadressaten und zielt darauf ab, Orientierungsgewißheit für den Bürger zu schaffen (KK-Rogall, a.a.O., § 3, Rdnr. 28 m.w.N.) (OLG Hamm, aaO, Rn. 24 - 26).

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