Kinderbetreuung während der Hauptverhandlung - Besorgnis der Befangenheit?

Geregelt ist die Ablehnung von Richtern wegen der Besorgnis der Befangenheit in § 24 Abs. 2 StPO. Dort heißt es, es "findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen." Der Zeitpunkt, das Verfahren zur Entscheidung über die Ablehnung sowie die Anwendbarkeit der Regelungen auch auf Schöffen und Protokollführer sind in den §§ 25 bis 31 StPO geregelt.

 

Das Recht zur Ablehnung eines Richters steht neben dem Beschuldigten auch der Staatsanwaltschaft und dem Privatkläger zu. Ob ein Ablehnungsgrund besteht, bestimmt sich demnach auch nur nach der Perspektive des Ablehnenden. Das bedeutet, z.B. der Beschuldigte muss den Eindruck haben, der Richter sei seinem Verhalten nach nicht unparteiisch. Der Richter wiederum muss sich nicht für parteiisch oder unparteiisch halten. Es reicht für einen Ablehnungsgrund auch nicht aus, dass z.B. der Beschuldigte durch sein Verhalten den Richter gegen sich aufbringt um so einen Ablehnungsgrund zu schaffen. Hierzu gibt es bereits eine umfangreiche Rechtsprechung, die u.a. bei Meyer-Goßner (aaO, Rn. 7) nachgelesen werden kann. Strafanzeigen und Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den Richter reichen demnach ebenso wenig aus, wie ein strenger Umgang des Richters mit Beleidigungen durch den Beschuldigten oder gar dem Verteidiger.

 

Wann genau die Besorgnis der Befangenheit besteht, hat der 2. Senat des Bundesgerichtshofes in einem Urteil vom 17. Juni 2015 (2 StR 228/14, zitiert nach hrr-strafrecht.de) dargestellt.

 

Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (so z.B. BGH, Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 24 Rn. 6 und 8).

Kinder und andere Ablenkungen

Neben weiteren, in der Rechtsprechung anerkannten Verhaltensweisen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen können (siehe hierzu hier), spielten in der Vergangenheit auch immer wieder Fälle eine Rolle in denen sich ein Richter durch verschiedene Umstände von der Hauptverhandlung ablenken ließ.

 

Am bekanntesten in diesem Zusammenhang dürfte die Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes sein, in der der Senat erkennt, dass die private Nutzung eines Mobiltelefons durch einen Richter während der Beweisaufnahmen durchaus die Besorgnis der Befangenheit begründet (BGH, Urteil vom 17.06.2015 - 2 StR 228/14, hier zitiert nach hrr-strafrecht.de). Der dortige Leitsatz des Bearbeiters soll nicht vorenthalten werden:

 

"Aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten gibt die private Nutzung des Mobiltelefons durch einen beisitzenden Richter während laufender Hauptverhandlung begründeten Anlass zu der Befürchtung, der Richter habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallender Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt."

 

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte wohl die Verteidigung in dem, der Entscheidung des Amtsgerichts Bielefeld (Beschluss vom 05.12.2017 - 39 Ds-6 Js 42/17-824/17) zugrunde liegenden Fall.

 

Einer, der durch den Ablehnungsantrag beanstandeten Sachverhalte bestand darin, dass die Richterin an einem Verhandlungstag ihren neunjährigen Sohn im direkt an den Verhandlungssaal angrenzenden Beratungszimmer spielen ließ und dabei die Tür offen ließ.

 

Das Amtsgericht Bielefeld lehnte den Antrag ab. Eine Besorgnis der Befangenheit sei nicht anzunehmen. Denn wenn ein 9-jähriges Kind allein im Beratungszimmer spiele, weil an dem Tag die Kinderbetreuung nicht gewährleistet werden konnte, lenke das als solches die Aufmerksamkeit der Richterin nicht ab. Dies wäre -nach Meinung des Amtsgerichts- erst dann der Fall - ähnlich der Nutzung des Handys - wenn konkreter Betreuungsbedarf bestehe. Dies wäre aber in dem der Entscheidung zugrundliegenden Szenario offensichtlich nicht der Fall. Die bloße beiläufige Überwachung des Sitzungszimmers führe nicht zu einer Reduzierung der Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung.

 

Die Entscheidung ist so nicht nachvollziehbar. Wie bereits oben ausgeführt, geht es nicht um die Frage ob ein Richter befangen ist, sondern nur um die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten eines Richters beim Antragsteller (z.B. dem Angeklagten) den Eindruck erweckt, dieser sei ihm gegenüber nicht unparteiisch und unvoreingenommen. Eine Richterin (aber selbstverständlich auch ein Richter) der sein erheblich minderjähriges Kind beaufsichtigt, erweckt jedoch den Eindruck sich eben auch außerhalb eines akuten Betreuungsfalles zumindest auch mit dem Kind zu beschäftigen. Dies z.B. durch genaues Hinhören, ob es "verdächtige" Geräusche im Beratungszimmer gibt. Hierdurch ist die Aufmerksamkeit in Bezug auf die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung eingeschränkt. Damit kann beim Angeklagten der berechtigte Eindruck entstehen, dass der Richter sein Urteil bereits gefällt hat und deshalb die Beweisaufnahme nur noch als notwendiges Übel betrachtet, dass "so nebenbei" erledigt werden könne.

 

Hinzu kommt, auch wenn es nicht direkt mit der Rechtsprechung korrespondiert, dass es für den Angeklagten in einer strafrechtlichen Hauptverhandlung nicht selten "um Alles" geht. Demnach hat insbesondere der Angeklagte ein Recht darauf, dass sich das Gericht der Beweisaufnahme mit voller Aufmerksamkeit widmet und nicht noch private Dinge erledigt, egal wie wichtig sie auch sein mögen.

 

Abschließend soll ein kleines Beispiel diesen Ansatz illustrieren.

 

Die strafrechtliche Hauptverhandlung kann mit einer Operation im medizinischen Bereich verglichen werden. Sie stellt für den Angeklagten / Patienten eine enorme psychische Belastung dar. Bereits kleinste Fehler können enorme negative Auswirkungen haben. Demnach würde niemand auf die Idee kommen, es zu tolerieren wenn der Chirurg im Operationssaal oder zumindest im Vorbereitungsraum sein minderjähriges Kind betreut.

 

Gleiches muss von dem Gericht bei der Durchführung einer Hauptverhandlung gefordert werden. Die Entscheidung des Amtsgerichts Bielefeld zeigt insoweit eine enorme Ignoranz hinsichtlich dieses Umstands.

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