Fahrlässige Tötung oder Totschlag? - "Berliner Raser" und der versuchte Totschlag durch das Fahren eines PKW

Nachdem sehr viel über den, in Kürze von dem vierten Strafsenat des Bundesgerichtshofes zu verhandelnden sogenannten "Berliner Raser" Fall berichtet wurde, möchte auch der Autor die Diskussion um einen weiteren Aspekt ergänzen.

 

Zunächst stellt sich die Frage, was das Landgericht Berlin (Urt. v. 27.2.2017 − (535 Ks) 251 Js 52/16 (8/16) (nicht rechtskräftig)) eigentlich genau entschieden hat und wo die tatsächliche und juristische Besonderheit dieses Urteils besteht.

 

Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt lautet auszugsweise wie folgt:

 

"Nach dem Kurvenausgang beschleunigte der Angekl. H seinen mit 165 kW und gleichfalls Allradantrieb ausgestatteten Audi S6 mit Vollgas, um an den nun vor ihm fahrenden Angekl. N wieder heranzukommen und an diesem vorbeizuziehen.

 

Ein Zeuge konnte den Mercedes-Benz des Angekl. N beobachten, wie er mit einer Geschwindigkeit von 100-150 km/h auf der linken Fahrspur der Tauentzienstraße auf die Kreuzung mit der Nürnberger Straße zufuhr. Ein anderer Zeuge sah, dass beide Wagen auf die schon jetzt Rot abstrahlende Lichtzeichenanlage an der Kreuzung mit der Nürnberger Straße zurasten. (...)

 

Mit einem noch leichten Vorsprung von wenigen Metern und einer Geschwindigkeit von 139 bis 149 km/h fuhr der Angekl. N bei Rot in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße ein. Auch der Angekl. H fuhr bei Rot in den Kreuzungsbereich ein, wobei dieser aufgrund des vollständig durchgetretenen Gaspedals zwischenzeitlich eine Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 170 km/h erreicht hatte(...)

 

Aufgrund der erreichten Geschwindigkeit, des Befahrens des Kreuzungsbereichs bei Rot und der aufgrund baulicher Gegebenheiten (Litfaßsäule, rechtwinklige Hausbebauung bis dicht an die Fahrbahn) nicht bestehenden Möglichkeit der Einsicht nach rechts in die kreuzende Nürnberger Straße kollidierte der Angekl. H – absolut unfähig noch zu reagieren – im Scheitelpunkt der Kreuzung mit dem Fahrzeug des Geschädigten W, der aus der Nürnberger Straße kommend regelkonform bei Grün in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße / Nürnberger Straße eingefahren war.

 

Durch den Aufprall wurde der Jeep Wrangler des Geschädigten von dem Audi des Angekl. H auf der Fahrerseite quasi durchstoßen. Durch die sehr hohe Aufprallenergie wurde das Fahrzeug um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h rund 70 m durch die Luft in Richtung Wittenbergplatz geschleudert, wo es auf der Fahrerseite liegend zum Stillstand kam. (...)"

 

Das Landgericht verurteilte die beiden Angeklagten wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln zum Nachteil des Geschädigten W in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin und Nebenklägerin K gemäß den §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a) und d) StGB jeweils zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Gegen diese Urteil ist die Revision bei dem 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes anhängig. Dieser wird die Angelegenheit am 01.02.2018 um 9:30 Uhr verhandeln (Den entsprechenden Terminhinweis finden Sie hier).

 

Besondere Aufmerksamkeit erregte die Entscheidung deshalb, da das Gericht nicht wie in ähnlich gelagerten Fällen, die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung verurteilte sondern einen Tötungsvorsatz annahm. Nach dem Kenntnisstand des Autors ist dies die erste Entscheidung dieser Art. Die juristische Fragestellung bezieht sich folglich auf die Abgrenzung des sogenannten Eventualvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit.

Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit

Bedingter Vorsatz und nicht nur bewusste Fahrlässigkeit liegt nach der allgemeinen Meinung in der Rechtsprechung vor, wenn der Täter den Erfolg als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und dabei billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH NStZ 1981, 23; 1984, 19; BGHSt 36, 1 (9) = NJW 1989, 781 (783); BGH NStZ 1998, 616 mAnm Roxin; BGH NStZ 2008, 451). Die Rechtsprechung verlangt also – in unterschiedlich strenger Ausprägung – ein voluntatives Element (deutlich BGH NStZ-RR 2008, 239).

 

Dabei dürfte Abfinden in Bezug auf den Taterfolg, hier Tod eines anderen Menschen der bessere Begriff sein (so auch: Walter, NJW 2017, 1350, beck-online).

 

Ein bloßes Erkennen der Möglichkeit, dass dieser Taterfolg mit höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten könnte, reicht demnach ohne die weitere Voraussetzung nicht aus. Deshalb betonte auch der Bundesgerichtshof immer wieder, dass von der objektiven Gefährlichkeit eines Handelns nicht automatisch auf einen Verletzungs- oder Tötungsvorsatz geschlossen werden könne (BGH, Beschluss vom 25.08.1982 - 2 StR 321/82 (LG Köln), hier zitiert nach NStZ 1982, 506, beck-online).

 

Bei Tötungsdelikten gilt dies aufgrund der natürlichen Hemmschwelle einen anderen zu töten erst recht (sogenannte Hemmschwellentheorie, siehe nur: Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 212 Rn. 13 ff. mit weiteren Nachweisen).

Raser mit Tötungsvorsatz?

Es lässt sich Vieles schreiben, das gegen einen Tötungsvorsatz spricht. Nur beispielsweise seien einige Argumente zusammengefasst wobei diese daran anknüpfen, dass eine Tötung in einem Rennen oder beim "Rasen" im Allgemeinen nur durch einen Unfall passieren kann und somit immer auch erhebliche gesundheitliche und/oder materielle Gefahren für den "Raser" birgt:

  • Die Liebe zum eigenen Auto - Wie auch das Landgericht feststellte, lieben insbesondere "Raser" ihr Auto. Sie wollen keinesfalls dass ihrem Fahrzeug etwas passiert, auch wenn ihr Verhalten dagegen spricht.
  • Der Wunsch zu leben - "Raser" hegen im Regelfall keinen Todeswunsch. Sie wollen sich beweisen, leben und "der Held sein".
  • Keinerlei Vorsorge - Man könnte doch meinen, dass wer, wie das Landgericht unterstellt mit Tötungs- und dann wohl auch Selbstmordabsicht Rennen fährt, sich in irgendeiner Form für einen Unfall oder zumindest für die Unfallfolgen absichert. Auch dies ist regelmäßig nicht der Fall. Es ist egal, ob ein ordnungsgemäßer Erste-Hilfe-Kasten im Auto liegt und es wird sich oft nicht einmal angeschnallt.

Walter (aaO) fasst es nach hiesiger Ansicht am besten zusammen:

 

"Wieso sollten sich Raser auf ihre Risikoblindheit berufen dürfen? Wieso von einem Hochgefühl bei ihren rücksichtslosen Rennen profitieren? Warum beim Töten Unschuldiger nur deshalb privilegiert werden, weil sie auch sich selbst und ihre Freunde gefährdet haben? Doch so berechtigt solche Gedanken sind, sie verlieren das Gesetz aus dem Blick: §§ 15, 16 StGB fragen allein danach, ob jemand Vorsatz hat, und nicht danach, wie vorwerfbar es ist, wenn der Vorsatz fehlt."

 

Die Entscheidung des Landgerichts zeigt insoweit eine Objektivierung des Vorsatzes indem es unterstellt, dass wer eine Umstände kennt die deutlich eine Lebensgefahr für andere begründen, Vorsatz habe.

 

Und dies könnte Auswirkungen weit über die vom Landgericht -unterstellt- angestrebte Einzelfallgerechtigkeit, orientiert an der -im übertragenen Sinne blutdürstigen- Öffentlichkeit, haben.

Ein versuchter Mord auf dem Heimweg

Folgt man nämlich dieser Argumentation, wäre jeder der deutliche Todesrisiken für andere verursacht, selbst käme es nicht zum Tod oder auch nur zur Verletzung eines anderen, wegen versuchten Mordes zu verurteilen (auf diese Folge weist auch Walter (aaO) hin, der dies aber auf die "Raser"-Fälle beschränkt).

 

Nach Ansicht des Autors (und auch nach der mündlich am 19.01.2018 in Hamburg geäußerten Ansicht von Prof. Dr. Thomas Fischer) muss die konsequente Umsetzung dieser Rechtsauslegung weit umfangreichere Auswirkungen haben, da Strafrecht nun mal für alle gilt.

 

Hierzu ein Beispiel (frei nach Prof. Dr. Fischer):

 

Sie sind müde. Es ist dunkel und kalt. Sie kommen von der Arbeit an einem späten Nachmittag. Sie wohnen in einer Reihenhaussiedlung oder anderen eher ruhigen Wohngegend. Sie wissen, dass sich dort ein Spielplatz/Kindergarten/Grundschule befindet und mit Kindern zu rechnen ist. Sie wissen auch, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit dort bei Schrittgeschwindigkeit liegt. Sie fahren 45 Kilometer pro Stunde. Alles geht gut, sie kommen zuhause an ... Ihnen droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.

 

Sie haben sich verhalten, wie die Angeklagten in dem Berliner "Raser" Fall. Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit um das Dreifache. Sie mussten sich bewusst sein, dass die Vermeidung eines Zusammenpralls im Fall der Fälle unmöglich gewesen wäre. Sie mussten sich auch dessen bewusst sein, dass ein Zusammenstoß mit einem Kind bei dieser Geschwindigkeit eigentlich immer tödliche Verletzungen hervorruft. Wenn Sie es nicht wussten, oder dies behaupten, ist Ihnen entgegenzuhalten, dass dies unrealistisch ist und sich das Risiko aufdrängte.

 

Ja, Sie haben darauf vertraut, dass nichts passieren würde.  Aber das reicht nach der Ansicht des Landgerichts und einer zunehmend größer werdenden Anhängerschaft in der Rechtswissenschaft nicht aus. Sie kannten die Umstände und konnte deshalb nicht mehr auf dem glimpflichen Ausgang vertrauen, selbst wenn es in diesem Fall noch einmal "gut gegangen" ist.

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