Die lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft i.S.v. § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB - Der potentielle Verletzte beim Missbrauch Schutzbefohlener

Missbrauchstatbestände, die im Gegensatz zur sexuellen Nötigung in allen ihren Facetten regelmäßig einen Willens-(bildungs-)defekt voraussetzen, finden sich im Gesetz zu Hauf.

 

Insbesondere während des letzten Legislaturperiode reformierte der Gesetzgeber das Sexualstrafrecht umfassend. Neben vielen -zu Recht vielfach kritisierten- Änderungen wurden auch die Missbrauchstatbestände erweitert.

 

So wurde mit dem 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25.01.2015 auch der Tatbestand des § 174 StGB erweitert. Die zitierte Regelung betrifft den sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener. Sie diente ursprünglich -ausschließlich- dem Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Jugendlicher (so auch: Frommel, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 174, Rn. 1) und stellte insbesondere die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen z.B. bei der Ausbildung, Betreuung o.Ä. unter Strafe.

 

Mit der zitierten Änderung wurde nunmehr auch § 174 Abs. 1 Nr. 3 sowie Abs. 2 eingeführt bzw. erweitert und der Anwendungsbereich hierdurch massiv erweitert. Zu Recht sprechen Stimmen in der Literatur (siehe nur: Frommel, aaO, mit weiteren Nachweisen) von einer Änderung des Schutzzwecks hin zu einem institutionellen Jugendschutz.

 

Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen ist die Regelung des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Diese lautet:

 

"Wer sexuelle Handlungen, (...)

 

an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt, (...)

 

vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

 

Damit wurde die Strafbarkeit nach dieser Norm von Eltern, Stiefeltern, Adoptiveltern auf nicht angeheiratete Partner der Eltern erweitert. Während die Regelung vorher eher in einem Zusammenhang mit dem Inzestverbot stand, wird nunmehr ein umfassende strafrechtliche Bevormundung erreicht, die sich nicht einmal über dubiose Rechtsgüter wie die "Volksgesundheit" rechtfertigen lässt.

 

Nunmehr macht sich, unabhängig vom Willen des unter 18jährigen, auch strafbar wer sexuelle Handlungen an diesen vornimmt oder von diesem vornehmen lässt wenn er der Partner eines leiblichen Elternteils des unter 18jährigen ist.

 

Dies ist insofern nicht nachvollziehbar, als dass für eine derartige Ausweitung der Regelung kein Bedarf bestand. Der sexuelle Missbrauch von Kindern, also Personen unter 14 Jahren ist weiterhin und unabhängig von der Beziehung des Täters zum Opfer strafbar. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen auch den "allgemeinen" sexuellen Missbrauch Jugendlicher, also von Personen über 14 Jahren unter Strafe zu stellen. Warum nunmehr auch der z.B. 17jährige, der kein über sein Alter und seine normale geistige Entwicklung hinausgehenden "Defekt" aufweist, nur aufgrund der teilweise schwach ausgeprägten Sonderbeziehung zum Täter eines besonderen Schutzes bedarf, erschließt sich systematisch nicht.

 

An die Frage wie die Beziehung zwischen Täter und Opfer im Sinne einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft  mit einem leiblichen Elternteil beschaffen sein muss, knüpft auch eine aktuelle Leitsatzentscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofes an.

Die Entscheidung des 1. Strafsenats zum Begriff der lebenspartnerschaftsähnlichen Lebensgemeinschaft

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 23.01.2018 (1 StR 625/17, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de) zu den Voraussetzungen einer solchen Lebensgemeinschaft den folgenden Leitsatz gefasst:

 

"Eine lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft i.S.v. § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Lebensgemeinschaft von zwei Personen, die auf Dauer angelegt ist, keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen und damit über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.

 

Eine solche kann im Einzelfall auch dann vorliegen, wenn die Partner lediglich an Wochenenden gemeinsam wohnen."

 

Damit hat der Bundesgerichtshof sich offen dem Begriff einer solchen Gemeinschaft wie er im Bereich des Sozial- und Steuerrechts verwendet wird, angeschlossen (BGH, aaO, Rn. 6ff.) und im Übrigen -dies zu Recht- klargestellt, dass bereits nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die eheähnliche und die lebenspartnerschaftsähnliche Lebensgemeinschaft unter fast denselben Voraussetzungen vorliegen (BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 – 2 BvR 1397/09, BVerfGE 131, 239, 261 und vom 7. Mai 2013 – 2 BvR 909/06 u.a., BVerfGE 133, 377, 413 f. Rn. 90).

 

Neben der durchaus nachvollziehbaren Argumentation zur Heranziehung sozial- und steuerrechtlicher Vorgaben bei der Definition solcher Gemeinschaften macht der 1. Strafsenat nach hiesiger Ansicht den Fehler, das Merkmal der eheähnlichen bzw. lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft ohne die hinreichende Berücksichtigung des Normzwecks und der Normstruktur zu begrenzen.

 

Wie bereits kurz dargestellt, soll die Regelung des § 174 StGB das Kind oder den Jugendlichen vor der Beeinträchtigung seines Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung durch die Ausnutzung eines Über/Unterordnungsverhältnisses durch den Täter schützen.

 

An diesem muss es jedoch schon nach der Gesetzessystematik fehlen, wenn der Täter einem Elternteil bzw. einem Erziehungsberechtigten nicht gleichgestellt werden kann, da sich die Regelung des § 174 Abs. 1 Nr. sonst nur an Eltern, Stiefeltern und Adoptiveltern richtet.

 

Bei Kontakten die sich nur auf die Wochenende beschränkten, bedürfte es aber weiterer Feststellungen zu einer quasi-elterlichen Stellung des Täters.

 

Zwar erwähnt der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung, dass der Angeklagte von der Mutter des Opfers zur Vermittlung in Erziehungsfragen herangezogen worden sei, bleibt jedoch eine konkrete Auseinandersetzung zum Umfang übernommener Erziehungspflichten schuldig.

 

Dies ist problematisch, da ein Über/Unterordnungsverhältnis nur ausnutzen kann, wer auch in einem Solchem zu Opfer steht. Wie auch in den einschlägigen Kommentaren zu lesen ist, ist es erforderlich, dass der Partner die Befugnis hat erzieherische Entscheidungen zu treffen (so: Frommel, aaO). Auch im Hinblick auf die Rechtsprechung zu Stiefeltern ist der Tatbestand im Hinblick auf den Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft eng auszulegen und es sind erhebliche Anforderungen an die erzieherische Einwirkung auf das Opfer zu stellen. So sei es danach nicht allein ausreichend, dass das Stiefelternteil in einer häuslichen Gemeinschaft mit Opfer und einem Elternteil lebt (BGH NStZ 1989, 21; OLG Celle NJW 1956, 1368; OLG Schleswig SchlHA 1954, 61).

 

Soweit der 1. Strafsenat also die Vermittlung in Erziehungsfragen ausreichen lassen will, wäre zumindest zu fordern, dass das Tatgericht detaillierte Feststellungen darüber trifft mit welcher Häufigkeit und in welchem zeitlichen Aufwand diese Vermittlung stattfand. Dabei wird zu prüfen sein, ob die reine Vermittlung tatsächlichen Einfluss auf die Erziehung nehmen konnte und on hierdurch tatsächlich ein ausnutzungsfähiges Über/Unterordnungsverhältnis entstand. 

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