In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 2018 soll es im Umfeld des internationalen Kultur- und Wohnprojekts (Ikuwo) in Greifswald zu einem Vorfall gekommen sein, bei dem einem Mitglied einer katholischen Studentenverbindung sein Verbindungsband entwendet und er geschlagen worden sein soll.
Als die Polizei die Räume zum Ikuwo betreten wollte, soll dies von den Veranstaltern abgelehnt worden sein.
Nach Medienberichten, die den Polizeibericht zitieren, sollen ca. 15 Personen eine Kette gebildet und so der Polizei den Weg versperrt haben. Aufgrund einer "aggressiven Stimmung" hätten sich die Polizeibeamten dann zum Rückzug entschlossen.
Abseits teilweise lächerlicher und rechtlich fragwürdiger Äußerungen, insbesondere aus dem konservativen und dem rechtsradikalen Lager, stellt sich insbesondere die Frage, ob und ggf. wie das Verhalten der Veranstalter strafrechtlich relevant ist.
Durchsuchung und "Gefahr im Verzug"
Ausweislich der dem Autor vorliegenden Informationen (z.B. aus der Ostsee Zeitung und dem Nordkurier) wollten die Polizeibeamten ca. eine Stunde nach dem Vorfall das Ikuwo betreten, wohl weil sie dort Tatverdächtige vermuteten. Wie das Ikuwo in seiner Presseerklärung mittteilt, habe man dann den Zutritt verweigert, weil man Panik bei den Besuchern befürchtete. Das wohl von den Beamten zur Begründung der Durchsuchung ohne einen richterlichen Beschluss eingewandte Argument der "Gefahr im Verzug" wurde angesichts des Zeitablaufs und der hohen Fluktuation bei den Besuchern zurückgewiesen.
Bereits nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 1 StPO ist eine Durchsuchung auch bei "anderen Personen", also Personen die nicht selbst Beschuldigte sind, möglich. Dies allerdings nur, wenn sie zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände dient. Zulässig ist sie dann, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet.
Diese Voraussetzungen dürften zumindest nach den öffentlich zugänglichen Informationen vorliegen. Das vom Ikuwo genutzte Gebäude stellt andere Räume im Sinne des Gesetzes dar, die Polizei vermutete dort Tatverdächtige und stützte diese Vermutung wohl auf Aussagen des mutmaßlich Geschädigten.
Allerdings ist nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich eine Anordnung durch den jeweils zuständigen Richter notwendig. Nur in Ausnahmefällen, namentlich wenn Gefahr im Verzug anzunehmen ist, kann die Anordnung auch durch Staatsanwaltschaft oder Polizei erfolgen.
Soweit bekannt, lag kein richterlicher Beschluss zur Durchsuchung vor. Demnach stellt sich die Frage, ob Gefahr im Verzug anzunehmen war.
Diese Frage ist keinesfalls leicht zu beantworten. Allerdings sind die Anforderungen an die Annahme von Gefahr im Verzug auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hoch (siehe nur: BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00 –, BVerfGE 103, 142-164).
In der zitierten Entscheidung heißt es zurecht:
"Der Begriff "Gefahr im Verzug" in Art 13 Abs 2 GG ist eng auszulegen; die richterliche Anordnung einer Durchsuchung ist die Regel, die nichtrichterliche die Ausnahme.
"Gefahr im Verzug" muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus."
Weiter und für diesen Fall relevant heißt es:
"Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen."
Neben diesen Erwägungen ist außerdem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Um die Frage abschließend beantworten zu können, ob die Polizeibeamten die Durchsuchung der Räume hätten anordnen dürfen, fehlen wesentliche Informationen. So dürfte beispielsweise eine Rolle spielen, ob mögliche Tatverdächtige hätten überhaupt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit identifiziert werden können. Auch Sicherheitsaspekte, wie sie von den Veranstaltern eingewandt wurden, müssten berücksichtigt werden.
Nach den derzeit vorliegenden Informationen fällt die Prüfung jedoch wie folgt aus:
Da es offensichtlich tatsächlich eine hohe Fluktuation bei den Besuchern der Veranstaltung gab, was sich bereits damit begründen ließe, dass sich eine große Gruppe von Personen, bestehend aus unterschiedlichen Kleingruppen, vor dem Veranstaltungsort befand, wäre eine ausreichende Wahrscheinlichkeit tatsächlich Tatverdächtige anzutreffen wohl eher zu verneinen. Auch dürfte angesichts der Fluktuation und im Hinblick auf den Zeitablauf (ca. eine Stunde) auch keine derartige Eile geboten sein, dass eine Anordnung der Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug nach den vorstehenden Anforderungen rechtmäßig gewesen wäre.
Strafvereitelung durch den Veranstalter
Nach § 258 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer
"absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird..."
Die Regelung klingt angesichts des bekannten Sachverhalts nicht fernliegend. Doch so funktioniert das Strafrecht -glücklicherweise- nicht.
Zunächst setzt die Vereitelung einer Strafe voraus, dass nicht nur eine rechtswidrige und tatbestandsmäßige, sondern auch eine verschuldete Tat gegeben ist, bei der weder ein persönlicher Strafausschließungsgrund noch ein Verfahrenshindernis eingreift (so z.B. Fischer, StGB, 65. Auflage, § 258, Rn. 5 mit Hinweis auf Ausführungen im Regierungsentwurf, aber auch Cramer, MüKo-StGB, § 258, Rn. 8).
Da jedoch vorliegend weder klar ist, ob die mutmaßlichen Täter z.B. eventuell aufgrund von Drogen- oder Alkoholkonsum schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB oder gar unter 14 Jahre alt waren kann diese Frage nicht beantwortet werden.
Sollten die vorstehenden Voraussetzungen nicht feststellbar sein, käme beim Vorliegen entsprechender weiterer Voraussetzungen nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung in Betracht.
Es ist weiter festzustellen, dass selbst wenn sich in den Räumen die Täter aufgehalten haben sollten und die Veranstalter dies wussten, dies allein nicht zu einer Strafbarkeit führen würde, da das "schlichte Gewähren von Obdach" nicht ausreicht (Fischer, aaO, Rn. 15a mit weiteren Nachweisen, z.B. aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes).
Fraglich ist allerdings, ob die Verweigerung des Zutritts durch die Polizeibeamten eine Tat im Sinne des § 258 StGB darstellt.
Das Reichsgericht hatte in einer -sehr alten- Entscheidung eine entsprechende Tathandlung in der Verweigerung von Einlass zum Zwecke der Durchsuchung und der Beschlagnahme gesehen (Reichsgericht, Urteil vom 2.2.1892 – 2. Strafsenat, GA, Bd. 39, 426, hier zitiert nach MüKoStGB/Cramer, aaO, Rn. 9, beck-online).
Soweit hier eine rechtmäßige Ermittlungshandlung verhindert werden sollte, wäre hierin wohl eine tatbestandsmäßige Handlung zu sehen.
Zweifel ergeben sich jedoch im Hinblick auf den Vorsatz bzw. im Falle eines Versuchs, auf den Tatentschluss. Erforderlich ist nämlich, dass der Täter absichtlich oder wissentlich handelte.
Absicht bedeutet zielgerichtetes Wollen. Dem Täter muss es folglich gerade darauf ankommen, den (für möglich gehaltenen) Vereitelungserfolg, nämlich die ganz oder teilweise Vereitelung der dem Strafgesetz gemäßen Bestrafung oder Vollstreckung entweder um seiner selbst willen oder als Mittel zur Ermöglichung eines anderen Zweckes zu erreichen. Die Beweggründe dafür sind unerheblich (MüKoStGB/Cramer, § 258, Rn. 37, beck-online).
Wissentlich handelt, wer den tatbestandsmäßigen Erfolg, mag dieser erwünscht, gleichgültig oder sogar unerwünscht sein, als sichere Folge seines Verhaltens erkennt oder voraussieht. Bedingter Vorsatz (dolus eventualis), also der Umstand, dass der Täter die Strafvereitelung als Folge seines Verhaltens nur für möglich hält und sich damit abfindet, genügt hierbei nicht. Im Falle der Verfahrensverzögerung muss sich das sichere Folgewissen auf die Wirkung der tatbestandsrelevanten Verurteilungs- bzw. Vollstreckungsverzögerung beziehen. Ein sicheres Voraussehen der genauen Dauer der als erheblich bewerteten Verzögerung ist hingegen nicht erforderlich (MüKoStGB/Cramer, § 258, Rn. 38, beck-online)
Demnach müsste den Veranstaltern zumindest nachweisbar sein, dass es ihnen darauf ankam durch ihr Verhalten die Verfolgung der möglichen Täter zu erschweren oder zu vereiteln. Dies dürfte nach derzeitigem Kenntnisstand eher unwahrscheinlich sein.
Weiter könnte auch die Regelung des § 258 Abs. 5 StGB eingreifen, da wenn einer der Veranstalter an der Vortat (mutmaßlicher Raub oder Körperverletzung) beteiligt wäre, er sich wegen einer Handlung die seine Bestrafung verhindern soll, nicht wegen Strafvereitelung strafbar machen könnte.
Kann dies nicht festgestellt werden, wäre nach dem Zweifelsgrundsatz eine fehlende Strafbarkeit anzunehmen.
Fazit
Anders als einige Medienberichte, für die die Sachlage klar ist und das Ergebnis feststeht, bleiben nach hiesiger Ansicht viele Fragen offen.
Eine abschließende juristische Bewertung muss der Staatsanwaltschaft, spätestens jedoch einem Gericht zukommen. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel an einer Strafbarkeit der Veranstalter auch über das hier darstellte Maß hinaus.
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Lawyer (Freitag, 22 Juni 2018 15:17)
"Demnach müsste den Veranstaltern zumindest nachweisbar sein, dass es ihnen darauf ankam durch ihr Verhalten die Verfolgung der möglichen Täter zu erschweren oder zu vereiteln. Dies dürfte nach derzeitigem Kenntnisstand eher unwahrscheinlich sein."
Das sehe ich anders. Der direkte Vorsatz in Hinblick auf ein Vereiteln ist im Vergleich zur Behauptung, man habe Panik bei den Besuchern befürchtet und vermeiden wollen, das plausiblere Szenario.