Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte II - Die Selbstbelastungsfreiheit des Zeugen nach § 55 StPO

Die Reihe zu den Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechten wird mit einem Beitrag zu dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO fortgesetzt.

 

Auch diese Regelung ist Ausfluss des Grundsatzes sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen (Nemo tenetur se ipsum accusare, lesen Sie hier mehr dazu). Da aber Zeugen grundsätzlich verpflichtet sind, auf Ladung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und Angaben zur Sache zu machen (§§ 48 Abs. 1 Satz 2, 161a Abs. 1 Satz 1 StPO) kann es hierbei zu Konflikten kommen, die durch die Regelung des § 55 StPO ausgeglichen werden sollen.


EXKURS: Die Pflicht zu polizeilichen Vernehmungen zu erscheinen

Nach der alten Rechtslage bestand keine Pflicht für Zeugen auf Ladung der Polizei zur Vernehmung zu erscheinen und Angaben zur Sache zu machen. 

 

Nachdem der Gesetzgeber mit dem, am 23.08.2017 verkündeten Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens auch die Vorschriften zur Vernehmung von Zeugen in der Strafprozessordnung geändert hat, ist dies jedoch nicht mehr der Fall.

 

Nunmehr wurde der § 163 StPO geändert und statt des ursprünglichen Absatz 3 die Absätze 3 bis 7 eingefügt.

 

Die -hier relevanten- Absätze 3 bis 5 lauten:

 

"(3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Sechsten Abschnitts des Ersten Buches entsprechend. Die eidliche Vernehmung bleibt dem Gericht vorbehalten.

 

(4) Die Staatsanwaltschaft entscheidet

 

1. über die Zeugeneigenschaft oder das Vorliegen von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten, sofern insoweit Zweifel bestehen oder im Laufe der Vernehmung aufkommen,
2. über eine Gestattung nach § 68 Abs. 3 Satz 1, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen,
3. über die Beiordnung eines Zeugenbeistands nach § 68b Abs. 2 und
4. bei unberechtigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung des Zeugen über die Verhängung der in den §§ 51 und 70 vorgesehenen Maßregeln; dabei bleibt die Festsetzung der Haft dem nach § 162 zuständigen Gericht vorbehalten.
Im Übrigen trifft die erforderlichen Entscheidungen die die Vernehmung leitende Person.

 

(5) Gegen Entscheidungen von Beamten des Polizeidienstes nach § 68b Abs. 1 Satz 3 sowie gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft nach Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und 4 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten jeweils entsprechend. Gerichtliche Entscheidungen nach Satz 1 sind unanfechtbar."

 

Mit "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" ist u.a. die Polizei gemeint. Zeugen sind nunmehr auch verpflichtet, auf deren Ladung hin zu erscheinen und auszusagen. Über die Kostenauferlegung sowie Ordnungsgeld und Ordnungshaft bei unberechtigtem Ausbleiben oder der unberechtigten Zeugnisverweigerung (§§ 51, 70 StPO) entscheidet dann aber wieder die Staatsanwaltschaft.

 

Weiter ist erforderlich, dass der Ladung zur Polizei ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Die Ladung kann sowohl durch die Polizei als auch durch die Staatsanwaltschaft zur Polizei erfolgen (so auch: Burhoff, Die Änderungen in der StPO 2017 - ein erster Überblick, E-Book, S. 56). Da es -wie andere Autoren bereits bemängelten (Burhoff, aaO; DAV Stellungnahme 40/16 von August 2016, S. 7)- an einem entsprechenden Hinweis in der Gesetzbegründung fehlt, wird man davon ausgehen müssen, dass auch ein genereller Auftrag der Staatsanwaltschaft ausreicht und kein, auf den Einzelfall bezogener Auftrag notwendig ist.

 

Da dem Zeugen nach den neuen Regelungen im Falle des Nichterscheinens vor der Polizei nicht unerhebliche Konsequenzen drohen (können), ist er über diese möglichen Konsequenzen zu belehren. Dies gilt auch und insbesondere für eventuell bestehende Zeugnisverweigerungsrechte.


Der § 55 StPO und seine Voraussetzungen

Die Regelung gibt dem Zeugen das Recht die Auskunft auf Fragen zu verweigern, mit deren Beantwortung ihn oder einen Angehörigen im Sinne des § 52 StPO in die Gefahr bringen könnte wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

 

Demnach ist es notwendig, dass eine sogenannte Verfolgungsgefahr besteht.

 

Diese muss konkret drohen (so auch: MüKoStPO/Maier, § 55, Rn. 14-16, beck-online) wobei es ausreicht, dass aufgrund der Antworten ein Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen eingeleitet werden könnte (BGH 16.10.1985 – 2 StR 563/84, NStZ 1986, 181 zu einem drohenden Verfahren, dass wegen bevorstehender Verjährung möglicherweise nicht zu Ende geführt werden kann; BGH 13.11.1998 – StB 12/98, NJW 1999, 1413; BGH 4.3.2010 – StB 46/09 Rn. 10, NStZ-RR 2010, 246 (247) mwN).

 

Die bloße Vermutung ohne eine Tatsachengrundlage sowie die denktheoretische Möglichkeit sich der Verfolgung auszusetzen reichen nicht aus, während es jedoch nicht notwendig ist, dass der Zeuge sich zur Begründung der Inanspruchnahme seines Zeugnisverweigerungsrechts wiederum der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt.

 

Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 04.09.2009 - BGH StB 44/09, hier zitiert nach HRRS 201 0 Nr. 829) fasst es insoweit treffend zusammen:

 

"Die Gefahr einer Strafverfolgung im Sinne des § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge Tatsachen bekunden müsste, die - nach der Beurteilung durch das Gericht - geeignet sind, unmittelbar oder mittelbar den Anfangsverdacht einer von ihm selbst oder von einem Angehörigen (§ 52 Abs. 1 StPO) begangenen Straftat zu begründen oder einen bereits bestehenden Verdacht zu bestärken."

 

In der Praxis ist die Handhabung der Glaubhaftmachung (des Belegs) einer derartigen Gefahr regelmäßig problematisch, da die Prüfung ob eine solche Gefahr besteht, der tatsächlichen Beurteilung durch den Tatrichter obliegt, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. BVerfG-K, NJW 1999, S. 779; BGH, Beschluss vom 6. August 2002 - 5 StR 314/02 - juris; BVerfG, Beschl. v. 21.4.2010 – 1193/08, BeckRS 2010, 49081, beck-online). Diese sind nur allzu oft geneigt, eine solche drohende Gefahr abzulehnen und Zwangsmittel gegen den verweigernden Zeugen anzuordnen.

 

Allerdings kann in diesen Fällen zumindest über ein Verwertungsverbot hinsichtlich der dann gemachten Angaben diskutiert werden. Der Autor befürwortet ein umfassendes Verwertungsverbot für Angaben die eigentlich dem § 55 Stopp unterfallen würden und nur deshalb gemacht werden, weil der Zeuge sich ansonsten Zwangsmaßnahmen (Ordnungsgeld oder Beugehaft) ausgesetzt sähe. Dies berührt zum einen die ureigensten Interessen des Zeugen / späteren Beschuldigten, so dass auch die noch so strenge "Rechtskreistheorie" hier zu keiner Einschränkung führen kann und zum anderen wären derartige Fälle vergleichbar mit Fällen des § 136a Abs. 1 Satz 2 StPO für die das Gesetz zwingend ein Verwertungsverbot vorschreibt (zu anderen Konstellationen siehe auch: Paul, unselbstständige Beweisverwertungsverbote in der Rechtsprechung, NStZ 2013, 489ff.)

 

Selbst ist von einer Verfolgungsgefahr auszugehen, so ist der Zeuge gemäß § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern. Nur ausnahmsweise ist er zu einer umfassenden Verweigerung der Auskunft befugt, wenn seine gesamte in Betracht kommende Aussage mit einem möglicherweise strafbaren oder ordnungswidrigen Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass im Umfang der vorgesehenen Vernehmungsgegenstände nichts übrig bleibt, wozu er ohne die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit wahrheitsgemäß aussagen könnte (vgl. BGH, NStZ 2002, S. 607; NStZ-RR 2005, S. 316; BVerfG, Beschl. v. 21.4.2010 – 1193/08, BeckRS 2010, 49081, beck-online).

 

Aufgrund der Kompliziertheit der Rechtslage sollte bei Zweifeln keinesfalls eine Aussage ohne vorherige Beratung erfolgen. Besser noch ist es, sich eines Zeugenbeistands zu bedienen, der nach § 68b Abs. 1 Satz 2 StPO auch bei der Vernehmung anwesend sein kann.

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