Dass Angehörige eines Beschuldigten nicht verpflichtet sind als Zeugen Angaben zu machen, ist zumeist bekannt. Dennoch bestehen regelmäßig Unsicherheiten im Hinblick auf die Reichweite dieses Zeugnisverweigerungsrechts und auch zu Fragen einer "verspäteten" Geltendmachung dieses Rechts.
Wer kann also genau das Zeugnis verweigern? Gibt es einen Zeitpunkt zu dem man die Zeugnisverweigerung erklärt haben muss? Was passiert wenn ich etwas aussage und später das Zeugnis verweigern möchte? Was ist mit minderjährigen Zeugen?
Diese Fragen sollen die folgenden Ausführungen beantworten.
Wer ist Angehöriger im Sinne des § 52 StPO?
Zur Beantwortung dieser Frage kann zunächst auf die -sehr konkreten- Regelungen des § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 2a StPO zurückgegriffen werden. Demnach sind zunächst der Verlobte und der Ehegatte berechtigt das Zeugnis zu verweigern. Die Regelung gilt ausdrücklich auf für Lebenspartner bzw. für Personen, die das Versprechen eingegangen sind, mit jemandem eine Lebenspartnerschaft zu begründen.
Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht weiter auch wenn die Ehe geschieden oder die Lebenspartnerschaft aufgelöst wurde.
Danach wird es -wenn man wie der Autor Probleme mit Verwandtschaftsgraden hat- kompliziert. Nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO kann das Zeugnis verweigern, wer
"mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war."
In gerade Linie Verwandte sind z.B. die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sowie eigene Kinder und Enkel. Auch echte Stiefelternteile sind zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Bei Kindern gilt, dass zwar das Schwiegerkind unter die Regelung fällt, aber das Pflegekind oder das Kind des Ehegatten soweit es nicht adoptiert wurde, kein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO hat.
(Halb-)Geschwister und deren Ehegatten sowie Nichten und Neffen haben ein Zeugnisverweigerungsrecht während Schwiegeronkel und -tanten sowie Großonkel- und tanten oder auch der angeheiratete Onkel oder die angeheiratete Tante wie auch Cousins kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO haben.
Eine eheähnliche Lebensgemeinschaft berechtigt nach noch herrschender Ansicht nicht zur Zeugnisverweigerung (siehe nur: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Auflage, Rn. 4456 mit weiteren Nachweisen).
Hier noch einmal die wichtigsten Ausnahmen im Überblick:
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Schwiegeronkel / Schwiegertante
- Großonkel / Großtante
- Ehegatte des Onkels / der Tante (=angeheirateter Onkel / Tante)
- Cousin / Cousine
- Eltern des / der Verlobten
- Eltern des Schwiegersohns / der Schwiegertochter
- Pflegekind
- Ehegatte der Neffen / der Nichte
- Ehegatte des Schwagers / der Schwägerin
Wann kann / muss das Zeugnisverweigerungsrecht geltend gemacht werden?
Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO sind zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigte Personen vor jeder Vernehmung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Dies gilt nicht nur für die erste Vernehmung nach § 136 StPO sondern für jede Vernehmung, unabhängig davon ob die durch die Polizei, Staatsanwaltschaft oder das Gericht durchgeführt wird.
Demnach kann auch bei jeder Vernehmung von dem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht werden. Das bedeutet, dass auch wenn z.B. in der ersten Vernehmung bei der Polizei Angaben gemacht wurden, in einer späteren Vernehmung keine Angaben gemacht werden müssen. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Wortlaut des § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO dass der Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht auch während der Vernehmung widerrufen werden. Die Vernehmung ist dann zu beenden. Nach der Beendigung der Vernehmung, also rückwirkend ist dies allerdings nicht möglich (BGH, NStZ 1985, 13 zitiert nach Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 52, Rn. 22).
Die Folgen der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts
Hat der Zeuge von seinem Recht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht, so ist die -weitere- Vernehmung unzulässig im Sinne der §§ 244 Abs. 3 Satz 1, 245 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Nach den vorstehenden Ausführungen stellt sich die Frage was mit Angaben passiert, die ein Zeuge vor einem Widerruf des Verzichts auf das Zeugnisverweigerungsrecht gemacht hat.
Im Regelfall gilt dann die Regelung des § 252 StPO der nicht nur die Verlesung des Protokolls einer früheren, z.B. polizeilichen Vernehmung sondern auch die Verwertung der Angaben auf andere Weise, z.B. durch die Vernehmung der sogenannten Verhörsperson (z.B. des vernehmenden Polizeibeamten) verbietet (statt Vieler: Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 13). Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn ein Verwandtschaftsverhältnis bei der ersten Vernehmung noch nicht bestand, also z.B. erst vor der Vernehmung in der Hauptverhandlung geheiratet wurde oder sich der Zeuge mit dem Angeklagten verlobt hat. Dann ist jedoch zu beachten, dass der Bundesgerichtshof in Fällen der unlauteren Verfahrensmanipulation, also wenn z.B. eine Heirat nur erfolgt um das Zeugnisverweigerungsrecht zu erlangen, ein Verwertungsverbot verneint hat (BGH, Urteil vom 08. Dezember 1999 – 5 StR 32/99 –, BGHSt 45, 342-354).
Des Weiteren soll nach Ansicht der Rechtsprechung die Einführung einer früheren Aussage wenn in einer richterlichen Vernehmung erfolgte, durch die Vernehmung dieses Richters möglich sein (siehe nur: BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16 –, BGHSt 61, 221-245). Voraussetzung ist dann -man müsste meinen selbstverständlich- dass der Zeuge in dieser früheren Vernehmung über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt wurde (so abschließend erst der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofes in der zitierten Entscheidung GSSt 1/16). Begründet wird dies -nach hiesiger Ansicht wenig überzeugend- damit, dass der Gesetzgeber der richterlichen Vernehmung einen höheren Stellenwert eingeräumt habe (z.B. BGH, Urteil vom 20.03.1990 - 1 StR 693/89 in NStZ 1990, 349, beck-online).
In der Folge soll auch die Aussage eines Zeugen in der Hauptverhandlung gegen den Verwandten verwertbar sein, wenn dieser nach einer entsprechenden Belehrung zunächst aussagt und dann im Verlauf der Vernehmung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.
Diese, nach dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes nicht vorgesehene Ausnahme ist zu Recht massiv kritisiert worden (Beulke, Strafprozessrecht Rn. 420; Degener, StV 2006, 509 (513); Hanack, JZ 1972, 236 (238); Kretschmer, Jura 2000, 461 (464); LR-Sander/Cirener Rn. 10; Meyer, StV 2015, 324; Mitsch, JuS 1998, 306 (310); ders. JuS 2005, 102 (104); Eb Schmidt, Lehrkommentar StPO II, § 252, Rn. 6; SK-Velten, § 252, Rn. 4; Welp JR 1996, 78).
Die Ausnahme richterlicher Vernehmungen von dem umfassenden Verwertungsverbot des § 252 StPO findet auch nach hiesiger Ansicht keine Grundlage im Gesetz. Sie stellt sich, wie auch Michaelis und Wohlers (NJW 1968, 59 bzw. StV 1996, 192) bemerken, als bloße Zweckmäßigkeitsentscheidung dar, die Beweisverluste, die eine konsequente Anwendung des Verwertungsverbots mit sich bringen würde, vermeiden soll. Auch das ursprüngliche Argument, dass eine Belehrung des Zeugen nur bei der richterlichen Vernehmung notwendig sei, ist nach Änderung der Belehrungsvorschriften (siehe nur § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO) irrelevant. Auch beseitigt eine Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht die vom Gesetz durch § 52 StPO aufzulösende Konfliktsituation bei der Belastung naher Angehöriger nicht.
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