Bereits seit einigen Jahren wird immer wieder berichtet, dass Polizeibeamte und andere Rettungskräfte vermehrt Angriffen ausgesetzt seien (siehe nur: Focus Online v. 27.04.2016 oder NRZ vom 19.07.2018).
Dies kann stimmen, muss aber differenziert betrachtet werden.
Zunächst ist zu klären, was einen Angriff im Sinne der Berichterstattung meint. Sehr häufig wird nämlich z.B. auch die Beleidigung als Angriff in diesem Sinne gewertet wobei es doch zweifelhaft sein dürfte, eine Beleidigung als Angriff zu bewerten und zu bezeichnen.
Die meisten Leser assoziieren mit einem Angriff zumeist mindestens eine einfache, wenn sogar gefährliche oder schwere Körperverletzung.
Weiter ist fraglich, ob sich die Zahl der "Angriffe" tatsächlich oder eben nur gefühlt erhöht hat.
Wesentlicher Faktor für diese Bewertung ist das Anzeigeverhalten, denn wenn keine Strafanzeige durch den betroffenen Polizeibeamten oder z.B. den Dienstvorgesetzten gestellt wird, werden auch keine Ermittlungen aufgenommen.
Erhöht sich also die Empfindlichkeit gegenüber tätlichen oder verbalen "Angriffen", werden auch mehr Verfahren eingeleitet. Es kommt zu einer Erhöhung der Fallzahlen. Demnach kann ein solcher Anstieg zumindest teilweise mit einem möglicherweise veränderten Anzeigeverhalten begründet werden.
Hinzukommt, dass beispielsweise die meisten polizeilichen Statistiken nicht den Verfahrensausgang, sondern nur die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erfassen. Verfahrenseinstellungen (z.B. weil es keine Straftat gab) oder Freisprüche werden so nicht erfasst, obwohl in diesem Fall ein "Angriff" zumindest nicht nachweisbar war.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bremen
Ein schönes Beispiel für die beiden letztgenannten Probleme liefert der, vom Oberlandesgericht Bremen entschiedene und im Folgenden kurz umrissene Fall.
Der nunmehr Freigesprochene war in eine Verkehrskontrolle geraten. Anschließend von den dortigen Polizeibeamten mit den von ihm mutmaßlich begangenen Verstößen konfrontiert, reagierte er ungehalten und aggressiv.
Die Entscheidung (OLG Bremen, Beschluss vom 13.04.2018 - 1 Ss 49/18, hier zitiert nach www.burhoff.de) zitiert den Sachverhalt wie folgt:
"Schließlich forderte der Zeuge pp. den Angeklagten auf, ihm auch den Verbandskasten und das Warndreieck vorzuzeigen. Der Angeklagte verweigerte auch dies zunächst, "öffnete dann aber doch den Kofferraum seines Pkw. Als sodann der Zeuge pp. in den Kofferraum blickte und dort hineingriff, um den Verbandskasten zu überprüfen, drängte der Angeklagte ihn zur Seite. Daraufhin drückte der Zeuge pp. dem Angeklagten die flache Hand auf die Brust und schob ihn so von dem Zeugen pp. weg. In dieser Situation äußerte der Angeklagte gegenüber den Zeugen: „Ihr habt doch nur Langeweile. Ihr seid doch nur Wichtigtuer!"
Während das Amts- und das Landgericht in dem Ausspruch "Ihr seid doch nur Wichtigtuer!" eine strafbare Beleidigung sah, erteilte das Oberlandesgericht (aaO) dieser Bewertung eine Absage und führt hierzu aus:
"Dem Wortlaut nach besagt die Bezeichnung als „Wichtigtuer", dass der Betreffende sich durch sein Auftreten größere Wichtigkeit zumesse als ihm in den Augen des Äußernden tatsächlich zukommt. Die Deutung des Landgerichts, dass der Angeklagte dadurch auch zum Ausdruck gebracht habe, die Beamten handelten, um ihre eigene Person in ihrer Bedeutung zu überhöhen, ist für sich genommen nicht zu beanstanden. Aus dem Kontext ergibt sich, dass der Angeklagte zum Ausdruck bringen wollte, dass die Beamten ihr Ermessen einseitig und schikanös ausübten. Der weitergehende Schluss aber, der Angeklagte habe damit auch erklärt, dass die Beamten ihren Geltungsdrang über das Recht stellten, wodurch ihr Handeln in die Nähe zum Amtsmissbrauch gerückt werde, findet keinen Anhalt im Wortlaut und den Umständen. Weder der sprachliche Kontext — der weitere Vorwurf, die Beamten handelten aus Langeweile — noch die objektiven Umstände — der Angeklagte sah sich einer Verkehrskontrolle ausgesetzt, gegen die er vehement protestierte — bieten eine Grundlage für diese Annahme, mit der Bezeichnung als Wichtigtuer werde eine bewusste Missachtung rechtlicher Bindungen zum Ausdruck gebracht."
Das Begehen einer strafbaren Beleidigung setzt zunächst voraus, dass der Täter durch die vorsätzliche Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung einen anderen rechtswidrig in seiner Ehre angreift (BGH, Urteil vom 29.05.1951 — 2 StR 153/51, hier zitiert nach juris, dort Rn. 4; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.03.2003 — III 2b Ss 224/02-2/03, juris Rn. 10, NStZ-RR 2003, 295; Fischer, 65. Aufl., § 185 StGB Rn. 4). Erforderlich ist eine Äußerung dahin, dass dem Betroffenen der sittliche, personale oder soziale Geltungswert durch das Zuschreiben negativer Qualitäten ganz oder teilweise abgesprochen wird (BGH, Urteil vom 15.03.1989 - 2 StR 662/88, juris Rn. 15, BGHSt 36, 145; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.10.2004 — 1St RR 153/04, juris Rn. 17, NJW 2005, 1291; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.03.1991 2 Ss 391/90 u.a., NJW 1992, 1335).
Ob eine ehrverletzende Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung vorliegt, ist durch Auslegung des objektiven Sinngehaltes der Äußerung ausgehend von ihrem Wortlaut unter Berücksichtigung ihres Kontextes und der gesamten Begleitumstände zu ermitteln, wobei es darauf ankommt, wie ein alle maßgeblichen tatprägenden Umstände kennender unbefangener verständiger Dritter die Äußerung versteht. Auf die subjektive Sicht und Bewertung des Adressaten sowie auf nach außen nicht hervorgetretene Vorstellungen, Absichten und Motive des sich Äußernden kommt es -zu recht- nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 10.10.1995 — 1 BvR 1476/91 u.a., juris Rn. 125, BVerfGE 93, 266; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2015 —1 (8) Ss 654/14, juris Rn. 6). Das bedeutet, ob sich jemand beleidigt fühlt oder nicht ist für die Frage ob eine strafbare Beleidigung vorliegt nicht relevant. Etwas anderes ist auch nicht denkbar, führte doch das Abstellen auf die subjektive Sicht des Addressaten dazu, dass die Strafbarkeit allein von den Bekundungen des "Opfers" abhinge. Selbst ein "Guten Morgen, Herr ..." würde demnach das Risiko einer Strafbarkeit wegen Beleidigung bergen.
In der Praxis kommt es jedoch nicht selten dazu, dass insbesondere wenn Polizeibeamte betroffen sind, doch eher darauf abgestellt wird, ob sich der betroffene Beamte herabgesetzt gefühlt hat bzw. Entsprechendes behauptet. Insoweit wird Beamten also quasi eine Art höhere Ehre unterstellt. Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, dass sich in der Bevölkerung der Mythos der "Beamtenbeleidigung" hartnäckig hält, obwohl es hierfür keinerlei gesetzliche Grundlage gibt.
Zum besseren Verständnis: Selbstverständlich müssen sich Polizeibeamte weder angreifen noch beleidigen lassen. Dennoch sollten bei Taten gegenüber Polizeibeamten derselbe Maßstab angelegt werden, wie bei anderen Betroffenen auch. Hinzukommt, dass Polizeibeamte -was sie seit Beginn der Ausbildung wissen- überwiegend in Krisensituationen jeder Art eingesetzt werden. Ihr Beruf ist es u.a. andere Personen zu schützen, die Einhaltung von Gesetzen zu überwachen und sie -in engen Grenzen- auch durchzusetzen. Hierbei sind Konflikte vorprogrammiert. Nicht selten haben sie es mit Menschen zu tun, die aufgrund von Krankheit, Sucht und Rausch oder schweren psychischen Problemen Situationen nicht richtig einschätzen. Dann eine besondere Empfindlichkeit aufzuweisen und diese zu betonen ist in etwa so wie der Chirurg der kein Blut sehen kann.
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