In einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren werden Informationen in der Ermittlungsakte bzw. auch in weiteren Akten wie Sonderheften, Fallakten usw. gesammelt. Informationen, die wenn sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben gesammelt wurden und einen entsprechenden Inhalt haben, dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht gegen den/die Beschuldigten annimmt und beispielsweise Anklage erhebt oder den Erlass eines Strafbefehls beantragt.
Nicht selten enthält die Ermittlungsakte demnach auch intime oder zumindest private Informationen über den Beschuldigten und weitere Beteiligte. Dies können Angaben zum Gesundheitszustand von Verfahrensbeteiligten, zum Sexualverhalten oder aber auch zur finanziellen Situation sein. Ehrlicherweise müsste schon der Umstand, dass gegen eine Person ermittelt wird, als privat bzw. zumindest als nicht öffentlich angesehen werden.
Demnach kommt der Frage, wer in welchem Umfang Einsicht in die Ermittlungsakte erhält, eine erhebliche Bedeutung zu.
Interessenten gibt es wahrlich genug. Neben dem berechtigten Interesse des Beschuldigten, kann auch der -rechtlich gesehen- mutmaßlich Verletzte ein Interesse an der Einsicht der Ermittlungsakte haben. Weiter interessieren sich je nach Vorwurf die Deutsche Rentenversicherung, das Jobcenter oder Haftpflichtversicherungen für die Ermittlungsergebnisse.
Einsichts- und Auskunftsrechte im kurzen Überblick
Das Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten ist in § 147 StPO geregelt. Demnach kann die vollständige Ermittlungsakte nur durch einen Verteidiger und nicht durch den Beschuldigten selbst eingesehen -unbeaufsichtigt- werden. Der Beschuldigte selbst hat nach § 147 Abs. 4 StPO ein, durch Gesetz vom 05.07.2017 (Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, BGBl I, S. 2208ff.) erheblich erweitertes Einsichtsrecht. Es ist demnach auch dem unverteidigten Beschuldigten zuzugestehen, unter Aufsicht, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen oder Kopien aus dieser zu verlangen (für eine umfassende Erweiterung auch: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 147, Rn. 31).
Dritte haben nach den §§ 474ff. StPO unter den dortigen Voraussetzungen Anspruch auf die Erteilung von Auskünften und ggf. sogar auf Akteneinsicht.
Der § 474 StPO regelt dabei die Rechte von Justizbehörden und anderen öffentlichen Stellen wobei, anders als Gericht, Staatsanwaltschaften und andere Justizbehörden, andere öffentliche Stellen in der Regel nur Auskünfte erhalten sollten. Nur unter den Voraussetzungen des § 474 Abs. 2 und Abs. 3 StPO kann auch diesen Stellen Akteneinsicht gewährt werden.
Nach § 475 StPO steht auch Privatpersonen, die nicht Verletzte der -mutmaßlich begangenen- Straftat sind sowie sonstigen Stellen über einen Rechtsanwalt ein Auskunftsanspruch zu soweit diese ein berechtigtes Interesse hieran darlegen. Liegen darüber hinaus die Voraussetzungen des § 475 Abs. 2 StPO vor, kann auch Akteneinsicht gewährt werden. Ein berechtigtes Interesse kann beispielsweise in der Prüfung und/oder Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche bestehen. Auch für den Insolvenzverwalter ist ein berechtigtes Interesse zur Prüfung insolvenzrechtlicher Ansprüche anerkannt (LG Hildesheim, Beschluss vom 02. Februar 2009 – 25 Qs 1/09 –, juris). Letztlich kann auch der Strafverteidiger in einem anderen Verfahren ein berechtigtes Interesse an Auskünfte bzw. der Einsicht in einer Ermittlungsakte haben, wenn dies z.B. zur Verteidigung notwendig ist.
Hervorzuheben, weil oft übersehen, ist die Regelung des § 477 Abs. 3 StPO. Diese schränkt die Akteneinsichts- und Auskunftsrechte von Privatpersonen und nichtöffentlichen Stellen weiter ein.
Demnach ist bei Auskunfts- bzw. Einsichtsanträgen in Akten, die Verfahren betreffen in denen der Beschuldigte freigesprochen wurde oder beispielsweise das Verfahren eingestellt wurde sowie in Fällen in denen es zu einer Verurteilung kam, die älter ist als 2 Jahre und die nicht in ein Führungszeugnis für Behörden aufgenommen wird, vom Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der Information glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Tatsachen aus denen sich das mit dem Antrag verfolgte Interesse der Wahrnehmung formal eingeräumter Rechte dient, soweit beweisen werden müssen, dass sie als wahrscheinlich anzusehen sind. Insbesondere darf die Darlegung keine weitergehenden, verzögernden Ermittlungen mehr nach sich ziehen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 477, Rn. 13 mit Verweis auf die Kommentierung zu § 26, dort Rn. 5). Selbst gelingt dies dem Antragsteller ist der Antrag bei entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen des -ehemaligen- Beschuldigten abzulehnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. März 2009 – 2 BvR 8/08 –, juris; ebenso: OLG Rostock, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 20 Ws 146/17 –, juris) sollte zumindest erwogen werden, den Betroffenen vor der Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht anzuhören.
Letztlich spricht Vieles dafür und die notwendig durchzuführende Abwägung zwischen Informationsinteresse und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten oder weiterer Verfahrensbeteiligter gebietet es, auch bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Abwägung dahingehend zu treffen, welche Aktenbestandteile dem Dritten zur Kenntnis gebracht werden. Dies gilt insbesondere für Aktenbestandteile auf die sich das berechtigte Interesse des Antragstellers nicht bezieht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 475 , Rn. 4 m.w. Nachweisen).
Eine derartige Abwägung ist bei Anträgen auf Akteneinsicht durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt des Verletzten nach § 406e StPO durchzuführen, wie eine aktuelle Entscheidung des Kammergerichts zeigt.
Zum Beschluss des Kammergerichts vom 21.11.2018 - 3 Ws 278/18 - Teilakteneinsicht nach § 406e Abs. 3 StPO
Grundsätzlich besteht ein -vollumfängliches- Akteneinsichtsrecht des Verletzten über einen Rechtsanwalt (§ 406e Abs. 1 StPO). Liegen auch die Voraussetzungen für einen Anschluss als Nebenkläger nach § 395 StPO vor, ist sogar die Darlegung eines berechtigten Interesses entbehrlich.
Da dies zu, aus verschiedenen Gründen, unhaltbaren Zuständen führen würde, hat der Gesetzgeber in § 395 Abs. 2 StPO Ausnahmetatbestände geschaffen, die eine Versagung der Akteneinsicht an den Verletzten rechtfertigen. Dies sind
1. ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Beschuldigten oder
2. ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse anderer Personen oder
3. die Einsichtnahme den Untersuchungszweck gefährden würde oder
4. es durch die Einsichtnahme zu einer erheblichen Verzögerung kommen würde. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Voraussetzungen des § 395 StPO (Anschlussberechtigung als Nebenkläger) vorliegen und der Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt ist.
Die Tatbestände 1. und 2. sind als Ist-Regelung ausgestaltet, so dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen der Antrag auf Akteneinsicht durch den Verletzten bzw. dessen Rechtsanwalt zwingend abzulehnen ist. Die Tatbestände 3. und 4. sind als Kann-Regelung ausgestaltet, so dass auch bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Ermessensspielraum besteht.
In jedem Fall ist auch bei der Feststellung der Voraussetzungen der Tatbestände 1 und 2 eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse des Antragstellers und dem -mit Verfassungsrang versehenen- Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorzunehmen.
Das Kammergericht führt hierzu aus:
"Nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Einsicht in die Akten zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Bei der Entscheidung über die Gewährung der Akteneinsicht sind daher die Interessen der Betroffenen gegeneinander abzuwägen, um auf diese Weise festzustellen, welches Interesse im Einzelfall schwerer wiegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 2 BvR 1043/08 - [juris]; KG NStZ 2016, 438). Dies gilt auch bei der Akteneinsicht für den Nebenkläger (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 9 mwN).
aa) Vorliegend sind - mit Blick auf die Hauptakte - bei der Abwägung insbesondere die Schwere der gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwürfe und der Umstand zu berücksichtigen, dass angesichts der bereits erfolgten Anklageerhebung ein erheblicher Verdachtsgrad gegen ihn besteht. Hiernach kommt dem berechtigten Interesse der Nebenklägerin als der mutmaßlich Verletzten, den vollständigen Akteninhalt kennenzulernen, ein hohes Gewicht zu. Besonders sensible Daten des Angeschuldigten, wie sie etwa in medizinischen oder psychiatrischen Gutachten enthalten sein können, sind kein Bestandteil der Hauptakte; auch enthält der den Angeschuldigten betreffende Bundeszentralregisterauszug keine Eintragungen. Die - über die Angaben der Nebenklägerin hinausgehende - Befassung mit Umständen aus dem privaten Lebensbereich und der Intimsphäre des Angeschuldigten ist dem Charakter der ihm zur Last gelegten Straftaten geschuldet. Ein Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses des Beschwerdeführers betreffend die Hauptakte (bzw. Teile davon) kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht.
bb) Der Einsichtnahme in die im hiesigen Beschlusstenor aufgeführte Beiakte stehen dagegen sowohl überwiegende schutzwürdige Interessen des Angeschuldigten als auch solche weiterer Personen entgegen. Die Beiakte betrifft ein - in der Hauptakte im polizeilichen Bericht vom 13. Dezember 2017 erwähntes - Strafverfahren gegen den Angeschuldigten, in welchem er mit Urteil des Amtsgerichts Tiergarten - Jugendschöffengericht - vom 30. April 2007 rechtskräftig vom Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes freigesprochen wurde. Allein schon der Umstand, dass dem Angeschuldigten ein strafbares Verhalten nicht nachzuweisen war, legt es insoweit nahe, sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung höher zu achten als das Interesse der Nebenklägerin an der Erlangung von Informationen aus dem früheren Verfahren. Ob er die Versagung der Akteneinsicht bereits für sich zwingend gebietet (vgl. LG Köln StraFo 2005, 78; einschränkend LG Darmstadt K&R 2009, 211), kann der Senat dahinstehen lassen; denn mit Blick auf einen möglichen Erkenntnisgewinn seitens der Nebenklägerin gilt es vorliegend weiter zu berücksichtigen, dass das damalige Verfahren weder einen Bezug zu ihrer Person und/oder derjenigen ihrer Schwester aufwies noch in den Tatzeitraum fiel. Zu schützen gilt es schließlich auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der damaligen Anzeigeerstatterin, die ausweislich der Urteilsgründe einer kritischen Überprüfung „ihrer Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen“ nicht standhielt."
(KG Berlin, Beschluss vom 21. November 2018 – 3 Ws 278/18 –, Rn. 9 - 11, juris; Hervorhebungen durch den Autor)
Das Kammergericht gibt die Rechtslage einschließlich der relevanten Rechtsprechung zutreffend wieder, scheint aber die bereits oben dargestellte Regelung des § 477 Abs. 3 StPO zu übersehen, die in diesem Fall als § 477 Abs. 3 Nr. 1 StPO in Bezug auf die erwähnte Beiakte einschlägig gewesen wäre und die Anwendung eines strengeren Prüfungsmaßstabs zur Folge gehabt hätte.
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