Der Vorwurf des Vorenthaltens und/oder Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB ist und bleibt einer der häufigsten Vorwürfe im Wirtschaftsstrafrecht.
Neben den klassischen "Schwarzarbeitsverhältnissen" liegt ein Vorenthalten von Arbeitsentgelt z.B. auch in Fällen der Unterschreitung des gesetzlichen oder tariflichen Mindestlohnes vor.
Besonders prekär, weil zumeist mit hohen Schadenssummen (die gesamten gezahlten Beträge werden als Nettolohn der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge zugrunde gelegt) einhergehend sind Fälle in denen der Beschuldigte davon ausging, dass die für bzw. mit ihn / ihm arbeitenden Personen nicht seine Arbeitnehmer und damit sozialversicherungspflichtig, sondern selbstständig sind.
Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Umfang des Vorsatzes und zum Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft
Bisher sah der Bundesgerichtshof -anders als beispielsweise der Autor oder auch einige Instanzgerichte (LG Ravensburg, Urteil vom 26. September 2006 – 4 Ns 24 Js 22865/03 –, hier zitiert nach juris)- die Irrtumsproblematik wie folgt:
Der Vorsatz muss sich auf die Eigenschaft als Arbeitgeber erstrecken. Ausreichend soll allerdings sein, dass sich dieser Vorsatz auf allein auf die statusbegründenden (gemeint ist der Status als Arbeitgeber bzw. der Status der betroffenen Personen als eigene Arbeitnehmer) tatsächlichen Voraussetzungen bezieht. Nicht notwendig ist demnach, dass sich der Vorsatz auch auf die rechtliche Einordnung bezieht.
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass weiß der Beschuldigte zum Beispiel, dass Personen auf seine konkrete Weisung hin gearbeitet haben und z.B. seine Arbeitskleidung trugen oder seine Werkzeuge benutzen durften (Umstände die für eine Arbeitnehmereigenschaft dieser Personen und damit auch für eine Arbeitgebereigenschaft des Beschuldigten sprechen) dies für ein vorsätzliches Vorenthalten von Arbeitsentgelt ausreichte. Glaubte der Beschuldigte trotz Kenntnis dieser Umstände daran nicht Arbeitgeber zu sein, führte dies nach der bisherigen Rechtsprechung nicht zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum sondern nur zu einem -regelmäßig vermeidbaren- Verbotsirrtum was allenfalls eine Strafmilderung zur Folge hatte (so z.B. BGH, Beschluss vom 07. Oktober 2009 – 1 StR 478/09 – oder BGH, Beschluss vom 04. September 2013 – 1 StR 94/13 –, beides zitiert nach juris).
Vom Verbots- zum Tatumstandsirrtum - Bloße Kenntnis reicht nicht für Vorsatz
Diese Rechtsprechung hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes nunmehr ausdrücklich aufgegeben, nachdem er dies bereits in einem obiter dictum aus dem Januar 2018 ankündigte (BGH, Beschluss vom 24.09.2019 - 1 StR 346/18, zitiert nach bundesgerichtshof.de; angekündigt in BGH, Urteil vom 24.01.2018 - 1 StR 331/17, hier zitiert nach StraFo 08/2018, 355f.).
In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Vorsatz und Irrtumsproblematik bei der Steuerhinterziehung (z.B. BGH, Urteil vom 08.09.2011 - 1 StR 38/11 Rn. 21, zitiert nach bundesgerichtshof.de) sei vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn der Täter über die Kenntnis der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände hinaus auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts - zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre - nach vollzogen hat (BGH, Beschluss vom 24.09.2019, aaO, Rn. 20). Er -der Täter- muss also zumindest in einer laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht besteht und er durch eine fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte. Die bloße Erkennbarkeit reicht demnach nicht aus (BGH, aaO, Rn. 18).
Diese, in Literatur und Praxis durchweg positiv aufgenommene (vgl. nur Schneider/Rieks, Zur Abgrenzung von Irrtümern im Wirtschaftsstrafrecht im Allgemeinen und beim Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen im Speziellen, HRRS Februar 2019, 63ff.; Lanz, Irrende Arbeitgeber? - Die Behandlung von Irrtümern über die Arbeitgebereigenschaft durch den Bundesgerichtshof, lanz-legal.de, hier abrufbar) Entscheidung, hat auch Auswirkungen auf die Frage, wie ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft zu bewerten ist. Wie oben gezeigt, wurde ein solcher Irrtum bislang als sogenannter Verbotsirrtum behandelt.
Da es sich nach der -zutreffenden- Ansicht des 1. Strafsenats in der Folge der vorstehenden Argumentation bei der, sich aus der Arbeitgebereigenschaft ergebenden Pflichtenstellung um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt, sei ein Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft als Tatumstands- und nicht als Verbotsirrtum zu behandeln (BGH, aaO, Rn. 20). Dieser schließt den Vorsatz generell aus. Eine Unterscheidung wie nach der Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit wie beim Verbotsirrtum unterbleibt.
Ob ein Arbeitgeber seiner Stellung als Solcher und das Bestehen der hieraus resultierenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten für -zumindest- möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (sogenannter Eventualvorsatz), soll nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofes vom Tatrichter im Einzelfall an den konkreten Tatumständen geklärt werden (BGH, aaO, Rn. 25).
Wie bereits nach der bisherigen Rechtsprechung sind hierbei zunächst die Indizien heran zu ziehen, die für eine Arbeitgebereigenschaft sprechen (z.B. Eingliederung der Dienste des Leistenden in den Betrieb, das Bestehen eines Weisungsrechts bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art und Weise der Ausführung der Dienstleistung, Vorliegen eines eigenen unternehmerischen Risikos bei dem Leistenden). Auch die Erfahrung des Arbeitgebers im Geschäftsleben oder der Umstand, dass das Thema illegaler Beschäftigung in der jeweiligen Branche Gegenstand öffentlicher Debatten war, soll, neben weiteren Umständen wie Erkundigungspflichten, nach Ansicht des 1. Strafsenats Indizwirkung für einen möglichen Vorsatz haben (BGH, aaO, Rn. 26). Demzufolge wird in der tatrichterlichen Praxis keine echte Änderung der Vorgehensweise zu verzeichnen sein. Es wird weiter nach den sozialrechtlich vorgegebenen Voraussetzungen für das Vorliegen eines -sozialversicherungspflichtigen- Arbeitsverhältnisses entlang eine Beweisaufnahme geführt werden. Anders als nach dem bisherigen Vorsatzverständnis, wird der Tatrichter jedoch nicht umhin kommen, nicht nur das Vorliegen der Umstände, sondern auch die vom Arbeitgeber vorgenommene Wertung in der Laiensphäre (s.o.) nachzuvollziehen. Allerdings eröffnen die Ausführungen des Bundesgerichtshofes -nach hiesiger Ansicht- auch die Möglichkeit weiter aufgrund der Indizien, nämlich der festgestellten Umstände der Beschäftigung, auf die vorgenommene Wertung des Arbeitgebers zu schließen. Dann hätte die Rechtsprechungsänderung aus Sicht des Beschuldigten sogar nachteilige Auswirkungen, da dann nicht mehr der Ausweg verbleibt, zumindest einen vermeidbaren Verbotsirrtum anzunehmen, der zumindest eine fakultative Strafrahmenverschiebung ermöglicht (kritisch zum Verteidigungspotential nach der Rechtsprechungsänderung auch: Schneider/Rieks, aaO, 66).
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Steffen Pasler (Freitag, 08 November 2019 07:46)
Gottlob ist die nun bestehende „Strafbarkeitslücke“ mit § 8 Abs. 3 SchwarzArbG geschlossen....
Benjamin Lanz (Freitag, 08 November 2019 11:43)
@Steffen Pasler: Allerdings wird nach der zitierten Norm nur Leichtfertigkeit bestraft. Hier gilt analog das oben Gezeigte. Die äußeren Umstände werden weiter festzustellen sein. Im Unterschied zur Feststellung eines vorsätzlichen Handelns wird dann aber eine Gesamtschau dahingehend durchzuführen sein, ob der Täter eine Schlussfolgerung aus diesen Umständen gezogen hat, die unter keinen Umständen nachvollziehbar ist (i.E. nicht erkennt, was jeder normal denkende Mensch hätte erkennen müssen).