Insbesondere im Zusammenhang mit Wirtschaftsstraftaten kann die Frage nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Verfolgungsverjährung eine nicht unerhebliche Rolle spielen, da zum einen bis zur Entdeckung der Taten und zum anderen bis zur rechtskräftigen Verurteilung mehrere Jahre vergehen können.
Bei Straftaten gemäß § 266a StGB hat sich im Hinblick auf den Beginn der Verjährungsfrist nunmehr eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben.
Zum besseren Verständnis sollen jedoch zunächst die allgemeinen rechtlichen Grundlagen der Verfolgungsverjährung sowie die bisherige Rechtslage dargestellt werden.
Da das Vorenthalten von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB mit höchstens 5 Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB 5 Jahre.
Diese Frist beginnt gemäß § 78a StGB erst zu laufen wenn die Tat beendet ist. Die Regelung lautet:
"Die Verjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist. Tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später ein, so beginnt die Verjährung mit diesem Zeitpunkt."
Es stellt sich somit die Frage, wann eine Tat nach § 266a StGB beendet ist.
Anders als die Beendigung ist die Vollendung für den Verjährungsbeginn irrelevant. Dennoch soll in aller Kürze auf die Voraussetzungen der Vollendung eingegangen werden.
Vollendet ist eine Straftat, wenn alle Merkmale des Tatbestands erfüllt sind. Für das Vorenthalten von Arbeitsentgelt im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB, also das Nichtzahlen von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung bedeutet dies, dass von einer Vollendung auszugehen ist, wenn der Arbeitgeber zum Fälligkeitszeitpunkt die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht oder nicht vollständig zahlt.
Die Fälligkeit der Zahlung bestimmt sich nach § 23 Abs. 1 SGB IV.
Beendet ist eine Straftat nach § 266 StGB, da der Bundesgerichtshof diese als echtes Unterlassungsdelikt ansieht, wenn die Beitragspflicht erloschen oder verjährt ist (siehe nur: Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 20. Mai 2005 – 1 Ss 252/04 –, zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 27. September 1991 – 2 StR 315/91 –, zitiert nach juris).
Erlöschen kann die Beitragspflicht entweder durch die Zahlung der entsprechenden Beiträge oder durch den Wegfall des Beitragsschuldners, also beispielsweise wenn die juristische Person aufgelöst
wird (BGH, aaO). Ebenso wird die Tat durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft beendet (OLG Dresden, Urteil vom 18. Januar 2010 – 3 Ss
603/09 –, zitiert nach juris). Auch das Ausscheiden des verantwortlichen Vertretungsorgans nach § 14 StGB (z.B. Geschäftsführer) aus seiner Position führt zu einer Beendigung der Tat
(Fischer, StGB, 64. Auflage, § 266a, Rn. 18a und Gercke, Gercke/Kraft/Richter, Arbeitsstrafrecht, 2. Auflage, S. 92 jeweils unter Hinweis auf BGH wistra 2014, S.
182).
In jedem Fall tritt die Verjährung spätestens mit der Verjährung des Beitragsanspruchs ein. Diese beträgt bei vorsätzlich vorenthaltenen Beiträgen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV jedoch 30 Jahre.
Das bedeutet, tritt keiner der oben geschilderten Fälle ein, beginnt -nach dieser Ansicht- die Frist zur Verfolgungsverjährung 30 Jahre nach der Fälligkeit des Beitragsanspruchs.
Verjährungsfristbeginn mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts - Der Beschluss des 1. Strafsenats vom 13.11.2019 - 1 StR 58/19
An dieser Ansicht hält der Bundesgerichtshof -nach Änderung seiner Rechtsprechung mit dem vorbezeichneten Beschluss- nicht mehr fest und geht nunmehr davon aus, dass die Verjährung bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts der Sozialversicherungsbeiträge beginnt (BGH, Beschluss vom 13.11.2019 - 1 StR 58/19, zitiert nach NStZ 3/2020, S. 160, Rn. 13).
Wie auch schon vom Autor (hier) und anderen (z.B. Gercke, Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Auflage, 12. Teil, 2. Kapitel, Rn. 92) eingewandt, weist auch der 1. Strafsenat zur Begründung darauf hin, dass sich aus dem Gesetzeswortlaut ein Abstellen auf das Erlöschen des Beitragsanspruchs zur Annahme einer Beendigung nicht ableiten lässt. Die Verletzung des geschützten Rechtsguts sei mit der Nichtzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt bereits irreversibel eingetreten und würde bei weiterem Zuwarten nicht vertieft (BGH, aaO, Rn. 15). Wie auch schon in anderen Fällen (z.B. bei der Frage wie Irrtümer über die Arbeitgebereigenschaft zu behandeln sind) zieht der Senat Vergleiche mit seiner Rechtsprechung zur Steuerhinterziehung und gleicht diese nun auch im Hinblick auf die Frage des Verjährungsbeginns an. Dabei werden umfangreich Gründe, die für einen Angleich des Verjährungsbeginns sprechen, angeführt. So spräche für die nunmehr geäußerte Rechtsansicht beispielsweise die ähnliche Struktur des § 370 AO und des § 266a Abs. 2 StGB (Rn. 18), der Umstand, dass eine faktisch 35 bzw. 36 Jahre betragende Verjährungsfrist "unangemessen" im Verhältnis zum verwirklichten Unrecht sei (Rn. 21) oder dass in der Regel nach einer derart langen Zeit auch ohne ein Strafverfahren Rechtsfrieden eingekehrt sei (Rn.24).
Letztlich bleibt die Änderung der Rechtsprechung zu begrüßen, nimmt sie doch ausdrücklich die Kritik der Literatur auf und beseitigt diese "Unwucht im Verjährungssystem".
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