Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft I - Das Unternehmen als "Ermittlungsbehörde"?

Mit dem 22.04.2020 legte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz einen Referentenentwurf über das "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" vor (hier geht es zum Entwurf). Wesentlicher Inhalt des Entwurfs ist die Einführung eines "Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten, kurz: Verbandssanktionengesetz (VerSanG).

 

Zu den Hintergründen wird auf der Homepage des Bundesministeriums wie folgt ausgeführt:

 

"Straftaten, die aus Verbänden (juristische Personen und Personenvereinigungen) heraus begangen werden, können nach geltendem Recht gegenüber dem Verband lediglich mit einer Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet werden. Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität ist damit nicht möglich. Die Höchstgrenze des Ahndungsteils der Verbandsgeldbuße von zehn Millionen Euro gilt unabhängig von der Verbandsgröße; sie lässt insbesondere gegenüber finanzkräftigen multinationalen Konzernen keine empfindliche Sanktion zu und benachteiligt damit kleinere und mittelständische Unternehmen. Konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Verbandsgeldbußen fehlen ebenso wie rechtssichere Anreize für Investitionen in Compliance. Das geltende Recht legt die Verfolgung auch schwerster Unternehmenskriminalität zudem allein in das Ermessen der zuständigen Behörden, was zu einer uneinheitlichen und unzureichenden Ahndung geführt hat. Verbandstaten deutscher Unternehmen im Ausland können vielfach nicht verfolgt werden. Das für bloßes Verwaltungsunrecht konzipierte OWiG und sein Verfahrensrecht sind insgesamt keine zeitgemäße Grundlage mehr für die Verfolgung und Ahndung kriminellen Unternehmensverhaltens.

Der Entwurf verfolgt das Ziel, die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen, sie dem Legalitätsprinzip zu unterwerfen und durch ein verbessertes Instrumentarium eine angemessene Ahndung von Verbandstaten zu ermöglichen. Zugleich soll er Compliance-Maßnahmen fördern und Anreize dafür bieten, dass Unternehmen mit internen Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten aufzuklären."

 

In diesem und in den folgenden Beiträgen werden verschiedene Aspekte des Entwurfs vorgestellt.

Die §§ 16, 17 des Verbandssanktionengesetzes

In den §§ 16f. VerSanG-E wird erstmals allgemeingesetzlich auf die Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen eingegangen. Bislang fanden sich allenfalls im Bereich der Finanzwirtschaft auf spezielle Fallkonstellationen ausgerichtete Regelungen, die darüber hinaus jedoch keine Bedeutung besitzen (so auch: Momsen, Internal Investigations zwischen arbeitsrechtlicher Mitwirkungspflicht und strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit in: ZIS 06/2011, S. 511). Eine Pflicht besteht auch nach dem Entwurf des Verbandssanktionengesetzes nicht.

 

Allerdings soll eine Verbandsgeldsanktion gemäß § 17 VerSanG-E gemildert werden, wenn

 

"1. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Verbandstat aufgeklärt werden konnte,

 

2. der beauftragte Dritte oder die für den beauftragten Dritten bei den verbandsinternen Untersuchungen handelnden Personen nicht Verteidiger des Verbandes oder eines Beschuldigten, dessen Verbandstat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt,sind,

 

3. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten,

 

4. der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte den Verfolgungsbehörden nach Abschluss der verbandsinternen Untersuchung das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts zur Verfügung stellen,

 

5. die verbandsinterne Untersuchung unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt wurde, insbesondere

a) Mitarbeiter vor ihrer Befragung darauf hingewiesen werden, dass ihre Auskünftein einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können,

b) Befragten das Recht eingeräumt wird, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mit-glied des Betriebsrats zu Befragungen hinzuzuziehen, und die Befragten auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden und

c) Befragten das Recht eingeräumt wird, die Auskunft auf solche Fragen zu verwei-gern, deren Beantwortung sie selbst oder die in § 52 Absatz 1 der Strafprozess-ordnung bezeichneten Angehörigen gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden,und die Befragten auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen werden."

 

Daneben soll Grundlage der Bemessung der Verbandsgeldsanktion gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E auch "das Bemühendes Verbandes, die Verbandstat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen, sowie nach der Verbandstat getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten" sein. Zunächst ist festzustellen, dass allein diese Regelungen sehr viele der weiterhin viel diskutierten Fragen beantwortet (siehe hierzu: Lanz, Internal Investigations - Die betriebsinterne Aufklärung von Straftaten, hier abrufbar). So wird -endlich- klargestellt, dass bei Mitarbeiterbefragungen im Rahmen interner Untersuchungen die Grundsätze des Rechts auf ein faires Verfahren einzuhalten und die Befragten auch über ihre Rechte und die Verwendbarkeit der Angaben im Strafverfahren zu belehren sind. Hierfür hatte der Autor bereits vor Jahren plädiert (hier).

 

Das Gesetz setzt weiterhin auf Freiwilligkeit wobei alles andere auch dem Grundsatz des Selbstbelastungsfreiheit zu wider liefe und damit schlechthin unzulässig ware. Diese Freiwilligkeit ist jedoch -je nach Verfahrenskonstellation- keine echte Freiwilligkeit. Angesichts drohender Sanktionen bis zu 10 Millionen Euro bzw. 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes (§ 9 VersanG-E) werden Unternehmen in Zukunft angehalten sein, interne Untersuchungen durchzuführen. Sogar eine Norm für das Ermittlungsverfahren hat sich das BMJV einfallen lassen. In § 41 VerSanG-E ist geregelt, dass das Ermittlungsverfahren vorläufig eingestellt werden kann, wenn das Unternehmen angezeigt hat eine interne Untersuchung durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft kann hierfür eine Frist bestimmen, die auch verlängert werden kann.

 

Damit wird nach hiesiger Ansicht aber auch die Zielrichtung deutlich. Das Unternehmen soll als Verfolgungsbehörde gegen sich selbst und mittelbar gegen den Beschuldigten der Verbandstat (siehe hierzu §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 VerSanG-E) tätig werden. Dies ist einerseits zu begrüßen, könnten doch hochinvasive und extrem rufschädigende Ermittungsmaßnahmen wie Durchsuchungen, die Einholung von Bankauskünften u.Ä. vermieden werden. Andererseits dürften das Legalitätsprinzip und damit einhergehenden Anforderungen an die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens diese Maßnahmen auch bei einer Zusammenarbeit des Unternehmens nicht vollends überflüssig machen. Weiter könnte die Abwägung der optimalen Verteidigungsstrategie nur allzu oft schlicht zugunsten einer vermeintlich sicheren Strafhöhenverteidigung in Form einer -dann kompromisslosen- Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden unterbleiben. Letztlich ist das Problem der internen Untersuchungen nur ein Kleineres in diesem, als sehr durchgreifend zu bezeichnenden Entwurf.

 

In zukünftigen Beiträgen wird der neu einzuführende "besondere Vertreter" im Sinne des § 30 VerSanG ebenso zu diskutieren sein, wie die Verteidigung von Unternehmen in Verbandssanktionsverfahren oder die Bemessung von Verbandsgeldsanktionen.

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