Eine Bestrafung setzt voraus, dass die Täterin den objektiven und subjektiven Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und außerdem rechtswidrig und schuldhaft handelt.
Irrtümer können dazu führen, dass bestimmte dieser Strafbarkeitsvoraussetzungen entfallen. So führt der Irrtum über die Tatumstände (§ 16 StGB) dazu, dass diesbezüglich kein vorsätzliches Handeln angenommen werden kann. Handelt es sich also um ein nur vorsätzlich begehbares Delikt, kann die Betroffene nicht bestraft werden.
Ähnlich verhält es bei dem sogenannten Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB. Fehlt der Täterin "die Einsicht Unrecht zu tun", handelt sie ohne Schuld soweit sie diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Ersichtlich ist also, dass es zu einem Wegfall der Schuld und damit auch der Strafbarkeit nur dann kommen soll, wenn der Irrtum über die Widerrechtlichkeit (nicht: Rechtswidrigkeit) des Tun (oder Unterlassens) unvermeidbar ist. War der Irrtum vermeidbar, kommt allenfalls eine -fakultative- Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Satz 1 StGB in Betracht. Demnach liegt es auf der Hand, dass der Frage, ob es sich um einen vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum handelt, in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zukommt.
Insbesondere bei Sachverhalten deren Strafbarkeit nicht "auf der Hand liegt", wie sie beispielsweise im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht vorkommen, ist die Frage des Verbotsirrtums nicht selten zu erörtern.
Zunächst sollte man sich vergegenwärtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Täterin die Strafbarkeit ihres Vorgehens nicht zu kennen braucht; es genügt, dass sie
wusste oder hätte erkennen können, Unrecht zu tun (BGH, Beschluss vom 2. April 2008 – 5 StR 354/07, NJW 2008, 1827, 1830; Urteil vom 11. Oktober 2012 – 1 StR 213/10, NJW 2013, 93, 96, jeweils mit
mwN).
Nach einer aktuellen Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 18.11.2020 - 2 Str 246/20, hier zitiert nach www.bundesgerichtshof.de)
ist ein Verbotsirrtum dann unvermeidbar, "wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens und
unter Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen die Einsicht in das
Unrechtmäßige nicht zu gewinnen
vermochte. Verbleiben Zweifel, ob
das Verhalten verboten ist, besteht eine Erkundigungspflicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil
vom 23. Juli 2019 – 1 StR 433/18, NStZ-RR 2019, 388, 390)." (BGH, aaO, Rn. 11).
Diese hohen Hürden
konkretisiert der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dahingehend, dass auch bei der Einholung von Auskünften hohe Anforderungen gestellt werden. So heißt es in dem bereits zitierten
Beschluss: "Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen
unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn
sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer
Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei Auskunftspersonen ist dies
der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten.
Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf
(vgl. Senat, Urteil vom 22. Februar 2017 – 2 StR 573/15, NStZ 2018, 215, 217
mwN)."
Zusammengefasst könnte man sagen, dass man sich umfassend mit der Sach- und Rechtslage auseinandersetzen muss und soweit Unklarheiten fortbestehen, fachlich qualifizierten Rat einholen muss. Dabei sind, wie bereits an anderer Stelle gezeigt, Gefälligkeitsgutachten nicht ausreichend.
Für Taten, die im Zusammenhang mit dem geschäftlichen Verkehr bzw. durch unternehmerisch tätige Personen begangen werden, ist der Bundesgerichtshof noch strenger und bezieht sich dabei auch auf die obergerichtliche Rechtsprechung zu Ordnungswidrigkeiten mit wirtschaftlichem Hintergrund/Bezug. So führt der Senat aus:
"In der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Ordnungswidrigkeitenrecht ist seit langem anerkannt, dass sich geschäftlich Tätige vor
Aufnahme der Tätigkeit über die in ihrem spezifischen Geschäftsfeld geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften zu informieren und auch wegen zwischenzeitlicher Änderungen der Rechtslage stets auf dem Laufenden zu halten haben (vgl. etwa BayObLG, Beschluss vom 21 . Juni 1972 –
RReg. 8 St 507/72 OWi, BayObLGSt 1972, 144, 146; OLG Zweibrücken, Urteil vom 25. Mai 2010 – 1 Ss 13/10 – juris; OLG Stuttgart,
Beschluss vom 29. März 2012 – 1 Ss 142/12, NZWiSt 2014, 301, 303; Rengier in KK-OWiG, 5. Aufl., § 11 Rn. 65 ff. mwN). Diese Erkundigungspflichten enthalten auch eine „Pflicht zur Aktualisierung“ im Hinblick auf strafrechtlich relevante Rechtsänderungen und beziehen sich damit auf diejenigen Tatbestände des Kernstrafrechts,
deren Schutzgüter nach
allgemeiner Lebenserfahrung durch die spezifische Berufsausübung in besonderer Weise gefährdet
werden können (vgl. Gaede in Matt/ Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 17 Rn. 27; Kaspar in
Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 17 Rn. 32 f.; Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 17 Rn. 17)."
Ein Verstoß gegen diese Erkundigungspflichten kann nur dann noch zu einem vermeidbaren Verbotsirrtum führen, wenn auch
die Einholung einer qualifizierten (siehe dazu oben) Auskunft nicht zur Behebung dieses Irrtums hätte führen können
(BGH, Urteil vom 7. April 2016 – 5 StR 332/15, hier zitiert nach www.bundesgerichtshof.de,
dort Rn. 22). Dies kann z.B. bei einer unklaren Rechtslage der Fall sein.
Klar sollte nach Alledem sein, dass eine "Augen zu und durch"-Mentalität, also das Verschließen der Augen vor tatsächlichen oder möglichen (straf-)rechtlichen Problemen in keinem Fall eine Lösung sein oder gar zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum führen kann. Auch der gern -"für die schnelle Lösung"- herangezogene Weg, sich einen "Freifahrtsschein" vom "Haus-und-Hof-Anwalt" erstellen zu lassen, wird die Anforderungen der Rechtsprechung an die Qualität der einzuholenden Auskunft im Regelfall nicht erfüllen. Demnach wird die frühzeitige und umfassende Einholung externer Expertise vermehrt auch für kleine und mittlere Unternehmen zu einer unvermeidbaren Pflichtübung.
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