Schluss mit "Schiebeterminen"? - Neues zur Anwendung des § 229 StPO

Die Regelung des § 229 StPO hat, nicht zuletzt durch die Modifikationen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie (siehe dazu hier), in der jüngeren Vergangenheit einige Aufmerksamkeit erhalten.

 

Nunmehr gibt eine aktuelle Entscheidung des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 13.12.2022 - 6 StR 95/22, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de) Anlass sich wiederum mit der zitierten Regelung auseinanderzusetzen. Der § 229 StPO betrifft die gesetzliche Höchstdauer einer Unterbrechung der Hauptverhandlung und ist damit Konkretisierung des Grundsatzes der Konzentration der Hauptverhandlung und des Grundsatzes der Beschleunigung des Verfahrens gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 MRK. Sinn und Zweck einer Begrenzung der Unterbrechung der Hauptverhandlung ist es außerdem,  zu verhindern, dass sich der Eindruck von der mündlichen Verhandlung abschwächt und die Zuverlässigkeit der Erinnerung an die Vorgänge in der Hauptverhandlung beeinträchtigt werden (BGH, Urteil vom 05. Februar 1970 – 4 StR 272/68 –, BGHSt 23, 224-226, juris, Rn. 14). Nach § 229 Abs. 1 StPO beträgt die maximale Unterbrechungsfrist 3 Wochen. Nach jeweils 10 Hauptverhandlungstagen darf die Unterbrechung jeweils einmalig bis zu einen Monat unterbrochen werden, vgl. § 229 Abs. 2 StPO.

 

Gegenstand der aktuellen Entscheidung war jedoch nicht die Frage, ob in dem zu entscheidenden Fall die Fristen eingehalten wurden. Das wurden sie. Es ging vielmehr um die Frage, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen von einem Fortsetzungstermin im Sinne des Gesetzes gesprochen werden kann, der dann wiederum zur Einhaltung oder Nichteinhaltung der Unterbrechungsfristen führt. Das Landgericht hatte zwar innerhalb der gesetzlichen Fristen Termine bestimmt und durchgeführt, aber in den Terminen oft nur den "Stand der Dinge betreffend die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Vorgänge der Aufarbeitung der Buchhaltung des Angeklagten und der Erstellung der alternativen Schadensberechnung" erörtert. "Zuweilen erschöpfte sich die Hauptverhandlung in der Bekanntgabe von darauf bezogenen Verfügungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergangen waren und den Verfahrensbeteiligten ebenso gut außerhalb der Hauptverhandlung hätten bekannt gemacht werden können." (BGH, Beschluss vom 13.12.2022, aaO, Rn. 34) Das reicht dem Bundesgerichtshof jedoch nicht aus. So lautet der Leitsatz:

 

"Auch wenn in einem Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung Verfahrensvorgänge stattfinden, die als Sachverhandlung anzusehen sind, verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat."

 

Nimmt man den Senat insoweit "beim Wort", dürfte diese Entscheidung das Ende aller "Schiebetermine" bedeuten. Dazu muss man wissen, dass es nicht selten vorkommt, dass ein Gericht -z.B. weil bereits bekannt ist, dass ein Zeuge erst in mehr als 3 Wochen aussagen kann- einen weiteren, eigentlich nicht notwendigen Termin ansetzt um die Frist des § 229 StPO zu wahren. In diesem, im Justizjargon salopp als "Schiebetermin" bezeichneten Termin, wird dann z.B. nur eine Stellungnahme oder ein Antrag verlesen, der ebenso gut auch im ersten oder eigentlichen notwendigen "Vernehmungs-"Termin verlesen werden könnte. Dies wäre nach dem neuen Leitsatz vorbei. Zwar hat der Bundesgerichtshof auch in früheren Entscheidungen immer wieder darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, dass im Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 262/17, NStZ 2018, 297, 298), dann jedoch eine eher formelle Betrachtungsweise eingenommen, die dazu führte, dass es ausreichte, dass es überhaupt zu Verfahrensvorgängen kommt, welche die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen. Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen konnte ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2014 – 4 StR 370/13, NStZ 2014, 220 mwN).

 

Nunmehr scheint jedenfalls der 6. Strafsenat sein Augenmerk deutlicher auf eine wertende Gesamtbetrachtung bei der Beurteilung von Fortsetzungsterminen zu legen. Damit scheint Voraussetzung zu sein, dass sich Termin insgesamt nicht als "Schiebetermin" darstellt, sondern seinem Inhalt nach vorrangig der Verfahrensförderung dient (vgl. z.B. Rn. 32).

 

Für die Praxis ergäben sich daraus -wie oben angedeutet- nicht unerhebliche Probleme, da dann nicht einmal ein "Schiebetermin" durchgeführt werden dürfte, was zur Wiederholung umfangreicher Hauptverhandlungstermine führen würde. Allerdings muss relativierend darauf hingewiesen werden, dass es der 6. Strafsenat in diesem Fall auch mit einer extremen Konstellation zu tun hatte in dem das Landgericht die Hauptverhandlung über den Zeitraum von fast 3 Jahren in bezeichneter Art und Weise verschleppte. Ob die Rechtsprechung auch mit weniger extremen Fällen so streng umgehen wird, bleibt abzuwarten, darf aber bezweifelt werden.

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