Nach dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes müht sich die Praxis mit den tatsächlichen und vermeintlichen Vorgaben des Gesetzgebers. Neben vielen anderen Fragen, wird die Frage, ab wann eine nicht geringe Menge Cannabis vorliegen soll, kontrovers diskutiert. Eine sehr erhebliche Frage, hat sich der Gesetzgeber doch dazu entschieden den, ursprünglich aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) stammenden Begriff auch im Konsumcannabisgesetz (KCanG) zu verwenden. So wird der strafbare Umgang mit Cannabis in der Regel zu einem besonders schweren Fall, wenn sich die Tat aus eine nicht geringe Menge bezieht (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG). Auch die Verbrechenstatbestände in § 34 Abs. 4 Nr. 3 und Nr. 4 KCanG beziehen sich u.a. auf den Begriff der nicht geringen Menge (lesen Sie hier mehr dazu). Zum besseren Verständnis sollte man sich vor Augen führen, was mit dem Begriff der nicht geringen Menge im Betäubungsmittelgesetz gemeint war und ist.
Die nicht geringe Menge im Betäubungsmittelgesetz
Der Begriff der nicht geringen Menge entstammt den Regelungen der §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 sowie 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes. Dort sind für Taten, bei denen mit eine nicht geringe Menge Betäubungsmittel umgegangen wird, teils erhebliche Strafverschärfungen vorgesehen. So erhöht sich sowohl bei dem Besitz als auch bei dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln die Strafandrohung von Geldstrafe auf mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe. Damit handelt es sich dann um ein Verbrechen im Sinne des § 12 Abs. 1 StGB. Demnach ist die Frage, ob und unter welchen Bedingungen von einer nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels auszugehen ist, von essenzieller Bedeutung.
Ausgangspunkt für die Bestimmung der nicht geringen Menge ist -ausnahmslos- die Wirkstoff-, nicht die Stoffmenge (die darin enthaltene Wirkstoffmenge ab (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134; vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60; vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89; vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318; vom 9. Okto-ber 1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255; vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179; vom 1. September 1987 – 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43; vom 11. April 1985 – 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169; vom 1. Februar 1985 – 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133; vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8). Dies ist auch nachvollziehbar und allgemein akzeptiert, schwankt doch der Wirkstoffgehalt bei Betäubungsmitteln ganz erheblich.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestimmt sich der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität (siehe nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 -2 StR 86/08, BGHSt 53, 89 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 -1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 -2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (BGH, Urteile vom 24. April 2007 -1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 und vom 17. November 2011 -3 StR 315/10, BGHSt 57, 60).
In dieser Art und Weise verfuhr der Bundesgerichtshof auch bei Cannabis und setzte den Grenzwert für die Annahme einer nicht geringen Menge bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol fest (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 –, BGHSt 42, 1-15).
Die aktuelle Lage
Mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (kurz: Cannabisgesetz oder CanG) und der damit einhergehenden Einführung eines Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) wurde Cannabis aus dem BtmG entfernt. Damit sind die oben skizzierten Regelungen des BtmG auf Cannabis nicht mehr anwendbar. Gleichwohl verwendet auch das Konsumcannabisgesetz in seinen Straftatbeständen (§ 34 KCanG) den Begriff der nicht geringen Menge (s.o.). Der Gesetzgeber, der im Konsumcannabisgesetz keinerlei Vorgaben hierzu gemacht hat, äußert sich in der Gesetzbegründung (BT-Drs. 20/8703, S. 130) zur nicht geringen Menge im Sinne des KCanG wie folgt:
"Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit."
Die Rechtsprechung der Obergerichte und des Bundesgerichtshofes ist der Forderung nach einem höheren Grenzwert, jedenfalls bislang, nicht gefolgt. So blieben beispielsweise der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 18.04.2024 - 1 StR 106/24, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de) und auch der erste Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24 –, juris) bei der bisher angenommenen Menge von 7,5 Gramm THC. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus:
"Die auf chemisch-toxikologischer Grundlage getroffene Feststellung, wo-nach zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen einer Zubereitung von Cannabisprodukten im Durchschnitt 15 mg THC erforderlich sind, gilt nach wie vor. Auch die im Vergleich zur harten Droge Heroin entwickelte Anzahl der Konsumeinheiten beansprucht unverändert Geltung; das pharmakodynamische Wirkungsverhältnis von THC zu Heroin ist heute nicht anders zu beurteilen als im Zeitpunkt der erstmaligen Grenzwertbestimmung." (BGH, aaO, Rn. 13)
"Die Regelung in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gibt keinen Anlass, den Grenzwert der nicht geringen Menge höher als unter Geltung des § 29a BtMG festzusetzen.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift enthält dafür keine Anhaltspunkte; im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt und dessen Ausfüllung der Rechtsprechung überantwortet (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 132).
(2) Sinn und Zweck der Vorschrift in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sprechen für die Beibehaltung des auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelten Grenzwerts von 7,5 g THC.
Die Schaffung der Strafvorschriften in § 34 KCanG hat der Gesetzgeber für geeignet und erforderlich gehalten, um die Volksgesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit des einzelnen Bürgers zu schützen. Die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis außerhalb der gesetzlichen Ausnahmen hält er für ein notwendiges Mittel, um den Verkehr mit dieser riskanten Droge zu unterbinden oder jedenfalls möglichst weit zurückzudrängen und dadurch vor allem junge Menschen vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Das Cannabisgesetz zielt gemäß seiner Präambel darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen. Ungeachtet der Straflosstellung bestimmter Verhaltensweisen liegt dem Gesetz die Annahme zugrunde, es handele sich bei Cannabis um ein gefährliches Suchtmittel." (BGH, aaO, Rn. 14ff.)
Die Gesetzessystematik stehe der Beibehaltung des zu § 29a BtMG entwickelten Grenzwerts gleichfalls nicht entgegen. Der Umgang mit Cannabis sei gemäß weiterhin – verwaltungsrechtlich – verboten. Der Gesetzessystematik liegt ein allgemeines Verbot für den Umgang mit Cannabis zugrunde, es würden lediglich bestimmte, gesetzlich erlaubte Handlungen vom Verbot ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Auf welcher Grundlage die strafrechtlich irrelevanten Mengen festgelegt wurden, ergäbe sich aus der Gesetzesbegründung, ebenso wenig, wie eine Aussage zur Bewertung ihrer Gefährlichkeit, nicht (BGH, aaO, Rn. 18).
Der Umstand, dass das neue Gesetz bestimmte Arten des Umgangs mit bestimmten Mengen Cannabis erlaubt, stehe der Beibehaltung des Grenzwertes nicht entgegen, da sich aus den legalisierten Besitzmengen keine Aussage zu deren Gefährlichkeit ableiten lasse (aaO, Rn. 19). Die Wirkstoffgehalte würden dafür zu stark variieren. Auch bestünde kein "Abstandsgebot" zwischen dem "einfachen Zuvielbesitz" und dem Besitz einer nicht geringen Menge. Der Erwägung des Gesetzgebers, es müsse ein höherer Grenzwert festgesetzt werden, erteilt der Bundesgerichtshof ausdrücklich eine Absage. Es fehle hierzu an Anknüpfungspunkten. Weder werde inhaltlich zur "geänderten Risikobewertung" ausgeführt, noch der Widerspruch zwischen der Betonung des Gesundheitsschutzes und der Schaffung entsprechender Schutznormen und der "geänderten Risikobewertung" aufgelöst.
In ähnlicher Art und Weise argumentiert auch das Hanseatische Oberlandesgericht (aaO, Rn. 24ff.).
Die Entscheidungen wurden in Literatur und Medien -qualitativ stark schwankend- umfassend kritisiert (z.B. Hillenbrand, StRR 2024, 24-27; Mewes, Giannini: Half-baked decision: THC als unzulässiger Bezugsmaßstab der „nicht geringen Menge“ , VerfBlog, 2024/5/14; Grubwinkler, "Ist die BGH-Entscheidung verfassungswidrig?, LTO v. 24.04.2024). Ein Kernargument der Kritiker ist dabei, dass der Bundesgerichtshof den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, einen deutlich höheren Grenzwert festzusetzen, ignoriert habe. Dies verstoße ggf. gegen das Bestimmtheitsgebot.
eigene Gedanken
Sich über den deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers hinweg zu setzen ist problematisch. So stellte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 3. April 1990 – 1 BvR 1186/89 –, BVerfGE 82, 6-18, zitiert nach juris, dort Rn. 20) bereits vor mehr als 30 Jahren klar: "Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine Judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (vgl. BVerfGE 69,315 (372); J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S.236)."
Andererseits hat es der Gesetzgeber nach hiesigem Dafürhalten unmöglich gemacht, ohne erhebliche Widersprüche zu produzieren, rechtlich und dogmatisch sauber einen neuen Grenzwert für die nicht geringe Menge im Konsumcannabisgesetz zu bestimmen. Das Konsumcannabisgesetz unterscheidet, anders als das Betäubungsmittelgesetz, zwischen verschiedenen botanischen und chemischen Formen von Cannabis(-teilen). So wird ausdrücklich der Besitz von lebenden Pflanzen begrenzt und an anderer Stelle auf Bruttomengen Pflanzenmaterial abgestellt. Weiter werden die Wirkstoffe THC und CBD, ebenso wie die Produktgruppen Haschisch und Marihuana legal definiert, ohne dass diese in den Straf- und Bußgeldnormen auch nur Erwähnung finden. Ein (Wirk-)Stoffbezug -wie im BtmG- ist nicht erkennbar, insbesondere wird der legale Umgang über Brutto-Mengen und Anzahl von lebenden Pflanzen beschrieben. Damit ist aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht erkennbar worauf der Gesetzgeber bei der nicht geringen Menge abgestellt haben will. Die Verwendung des Begriffs der nicht geringen Menge, das Aufgreifen der Normstruktur des BtmG und letztlich die Formulierung "abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis" in der Gesetzesbegründung lassen jedoch nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber auf die Wirkstoffmenge abstellt. Dieser Widerspruch, der, wie Mewes und Giannini (aaO, s.o.) zeigen auch zu Verstößen gegen das Analogieverbot führen kann, ist, rechtlich einwandfrei, nicht aufzulösen. Im Ergebnis ist hier der Gesetzgeber, andernfalls das Bundesverfassungsgericht gefragt.
Nachvollziehbar erscheint, für sich genommen, demgegenüber das Argument des Bundesgerichtshofes, dass die Bestimmung eines höheren Grenzwertes nicht geboten sei, da sich die (medizinisch-toxikologische) Sachlage nicht verändert habe. Weder aus der Gesetzesbegründung noch aus der aktuellen Forschungsliteratur ergibt sich, dass und ggf. warum Cannabis nunmehr weniger gefährlich sein soll als zu Zeiten der Bestimmung des ursprünglichen Grenzwerts.
Dies schließt selbstverständlich die Festsetzung eines höheren Grenzwertes nicht aus, sollte die Gesetzeslage hierfür geschaffen werden. Dann dürfte es jedoch notwendig sein, ein eigenes unabhängiges System zur Bestimmung der nicht geringen Menge zu schaffen. Denkbar ist nach hiesigem Dafürhalten, auch im Hinblick auf das Analogieverbot und die Notwendigkeit eines gegenüber dem Grundtatbestand erheblich gesteigert Verhaltensunwerts, die besonders schwere Fälle bzw. Qualifikationen an den konkreten Tatbestandsvoraussetzungen der Grundtatbestände auszurichten. Dies könnte konkret (z.B.: Grundtatbestand: Besitz von mehr als 3 lebenden Pflanzen; besonders schwerer Fall: Besitz von mehr als 30 lebenden Pflanzen) oder abstrakt (z.B.: (...), wenn die festgestellten Mengen das Zehnfache der erlaubten Mengen (§§ ...) überschreiten) geregelt werden.
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