Nebenklage, Revision und Verständigung... Das Problem der vertikalen Teilrechtskraft

Zum Institut der Nebenklage wurde an dieser Stelle schon mehrfach, letztmals am 4. August 2024 zur Frage der Beteiligung des Nebenklägers am Selbstleseverfahren, ausgeführt.

 

Im heutigen Beitrag wird ein sehr aktuelle Entscheidung, die nicht nur die Nebenklage betrifft, vorgestellt. 

 

Konkret geht es um die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 11. September 2024 - 2 StR 521/23. Es handelt sich um eine Leitsatzentscheidung, die auch zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung in Strafsachen vorgesehen ist.

 

Die Leitsätze lauten:

 

"Hat eine Revision der Nebenklage zum Schuldspruch Erfolg, gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, die Feststellungen über das nach § 353 Abs. 2 StPO gebotene Maß aufzuheben, soweit diese auf einem im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis beruhen.

 

Liegt einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO eine Vereinbarung über den Gesamtstrafenausspruch zugrunde, ist bei einem Erfolg der aufgrund von § 400 Abs. 1 StPO beschränkten Nebenklagerevision regelmäßig eine Aufhebung der gesamten Verurteilung geboten, wenn der nicht angefochtene Teil des Urteils auf dem verständigungsbasierten Geständnis des Angeklagten beruht. Die eingetretene vertikale Teilrechtskraft steht dem nicht entgegen."

 

Senat begründet dies damit, dass das neue Tatgericht nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung nicht an die Verständigung und damit an den dem Angeklagten im ersten Rechtsgang zugesagten Strafrahmen, der Grundlage für sein Geständnis war, gebunden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 374; vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, BGHR StPO § 257c Abs. 3 Satz 2 Strafrahmen 5; vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37, 41, und vom 23. November 2022 – 5 StR 347/22, BGHSt 67, 171, 173; BT-Drucks. 16/12310, S. 15).

Er verweist dazu auf die Rechtsprechung zum Umgang mit nur im Strafausspruch erfolgreichen Revisionen der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 2022 – 5 StR 347/22, BGHSt 67, 171, 173).

"Würden der Schuldspruch und die den Schuldspruch tragenden Feststellungen aufrechterhalten, müsste der Angeklagte sich jedoch an seinem im Vertrauen auf die Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) abgegebenen Geständnis festhalten lassen, obwohl er nicht durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO davor geschützt wäre, dass im neuen Rechtsgang eine Strafe verhängt wird, die über die ihm im ersten Rechtsgang zugesagte Strafobergrenze hinausgeht. Ein solches Ergebnis liefe dem in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK statuierten Recht auf ein faires Verfahren zuwider (vgl. BGH, Urteile vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, BGHR StPO § 257c Abs. 3 Satz 2 Strafrahmen 5, und vom 23. November 2022 – 5 StR 347/22, BGHSt 67, 171, 173)" (BGH, Urteil vom Urteil vom 18.11.2024 - 2 StR 521/23, hier zitiert nach bundesgerichtshof.de, dort Rn. 31).

Der Umstand, dass dies, wie oben bereits dargestellt, bislang im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftlichen Revisionen und nicht im Zusammenhang mit Nebenklagerevisionen erörtert wurde, macht für den Senat - zu recht - keinen Unterschied, da es für den Angeklagten rechtlich keinen Unterschied macht, ob die Revision durch die Staatsanwaltschaft oder den Nebenkläger angestrebt wurde.

 

Weiter erörtert der Senat das Problem der - jedenfalls in dem gegenständlichen Verfahren auftretenden - vertikalen Teilrechtskraft. Vertikale Teilrechtskraft liegt vor, wenn ein Teil des Prozessstoffes, der auch Gegenstand eines eigenständigen Verfahrens hätte sein können, rechtskräftig wird und wegen des übrigen Prozessstoffes weiter prozessiert wird. Basiert also ein Urteil wegen mehrerer rechtlich selbstständiger Taten insgesamt auf einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO, gibt der Angeklagte auch insgesamt das erforderliche Geständnis ab (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO). Kommt es dann zu einer Revision der Staatsanwaltschaft zuungunsten oder der Nebenklage und hat diese zur Folge, dass daraufhin hinsichtlich einer rechtlich selbstständigen Tat, das Urteil aufgehoben wird, wäre das Urteil wegen der anderen Taten rechtskräftig. Dies hätte zur Folge, dass das Geständnis des Angeklagten aufgrund der eingetretenen Teilrechtskraft ohne weiteres zu dessen Nachteil Wirkung entfaltete. Daher wäre es dem neuen Tatgericht auch möglich eine neue Gesamtstrafe, oberhalb der die dem Verständigungsstrafrahmen zugrundeliegende Höchststrafe zu bilden.

Dies sei, so der Senat zu recht, mit dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren nicht vereinbar. Zutreffend wird angeführt, dass der Gesetzgeber das skizzierte Problem der Teilrechtskraft nicht in den Blick genommen hat und allgemein davon ausging, dass das neue Tatgericht an eine getroffene Verständigung nicht gebunden sei. Gut vertretbar begründet der Senat seine Entscheidung, dass auch die weitergehenden Feststellungen aufzuheben seien mit dem Wesen des § 257c StPO, der den Angeklagte ja gerade davor schützen soll, Opfer seiner eigenen Mitwirkungsbereitschaft zu werden. Überzeugend wird § 257c Abs. 4 (Satz 3, Anmerkung des Autors) herangezogen.

 

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Der Angeklagte kann im Moment seines Geständnisses im Rahmen einer Verständigung nicht wissen, ob die Staatsanwaltschaft oder der Nebenkläger die Revision des Urteils erstreben wird, auch hat er keinen Schutz vor der ggf. eintretenden vertikalen Teilrechtskraft. Ein sogenanntes Verböserungsverbot besteht insoweit nicht. Daher muss er anderweitig vor, auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Folgen einer Verständigung geschützt werden. Die Aufhebung auch flankierender Feststellung erscheint auf Grundlage der geltenden Gesetze daher angezeigt.

 

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